Blutrausch

Vivien wischte mit einem Tuch die Klinge seines Schwertes ab und steckte seine Waffe zurück in die Lederscheide. „Wieder eines dieser blutsaugenden Monster erledigt“, dachte er selbstzufrieden und ging die Straße weiter entlang. Heute nacht hatte er schon zwei von ihnen erledigt, von diesen Kreaturen, die nichts anderes kannten, als zu morden zu ihrem eigenen Vergnügen. „Aber bereitet es nicht mir auch Vergnügen, sie zu töten? Ist es nicht eine Befriedigung niedriger Triebe?“ keimte in ihm plötzlich der Gedanke. Er blieb stehen und dachte nach.

 

„Nein, ich töte Vampire, um diese Rasse auszulöschen, die Menschen nur als ihre Futterquelle ansieht. Ich töte zum Wohl der Menschen. Und um Rache zu üben. Ja, ich handle aus edlen Motiven heraus!“ beantwortete er die Frage seines pochenden Gewissens selbst. Er zog seinen schwarzen Ledermantel enger um seinen Körper und den Hut tiefer ins Gesicht. Dann lenkte er seine Schritte ins „Lost Inn“. In dieser verruchten Kneipe machte er immer fette Beute und die Nacht war noch jung. Sicherlich würde er dort heute einen oder mehrere Blutsauger ausfindig machen, die auf der Suche nach leichter Beute waren. Er würde sie alle erledigen. Ja, er würde dieser Sippe schon zeigen, was es heißt, einem Menschen zu nehmen, was ihm heilig war, was ihm sein Leben bedeutete. Vivien erscheuerte beim Gedanken an jene Nacht, in der er seine geliebte Frau und sein Kind verlor. Ein Vampir hatte seiner geliebten Meredith das Leben ausgesaugt und sie aus dem achten Stock fallen lassen, als Vivien kam, um seine Frau aus den Klauen des Biestes zu befreien. 20 Meter tief war sie gefallen, und mit ihr das ungeborene Kind, daß ihr Glück vollkommen gemacht hätte. Unwillkürlich traten Vivien die Tränen in die Augen. Er hatte sie so sehr geliebt, aber sie war nicht mehr da. Zerstört in einem Augenblick, schneller, als er einen Atemzug machen konnte. Und dafür mußten nun alle Vampire büßen. Den Mörder seiner Meredith mußte er entkommen lassen, damals war Vivien für den Kampf gegen die Finsternis noch nicht gewappnet gewesen, aber nun war er nicht mehr unbedarft. Durch seinen Schmerz erkaltet war er selbst zu einer unbarmherzigen Waffe geworden, die so lange töten würde, bis der Rachedurst gestillt war. Niemand hatte das Recht, sein Glück zu zerstören, und er würde nicht eher ruhen, als bis er den Zerstörer gefunden und ihn getötet hatte. Und alle Mitglieder der blutsaugenden Rasse, die den Weg des Racheengels kreuzten, mußten daran glauben. Mußten sterben für den Schmerz, der zu Viviens Lebensphilosophie geworden war.

 

Inzwischen hatte Vivien die Kneipe erreicht. Er überprüfte noch einmal den Sitz seiner Waffen, bevor er die Tür öffnete und den Raum betrat, aus dem eine Wolke aus Körperausdünstungen, Alkoholgestank und billigem Parfüm auf den Bürgersteig quoll. Das war doch wirklich die mieseste Kneipe in der ganzen Stadt, aber auch die Vampire wußten das. Hierher kamen sie oft, um leichte Beute zu machen, einen Spieler, der zu betrunken war, um zu merken, daß er in den dunklen Hinterhof gelotst wurde. Oder ein Mädchen, daß so verzweifelt nach Liebe suchte, daß es gerne bereit war, allein einem Mann zu folgen, der es zu sich nachhause einlud. Es konnte ja nicht ahnen, oder es war ihm egal, daß es die nächste dunkle Ecke nicht überleben würde.

In guten Nächten konnte Vivien hier reiche Beute machen, bis zu sechs Vampire hatte er schon in einer einzigen Nacht getötet.

 

Er setzte sich auf einen leeren Platz. Stammplatz hatte er keinen, denn das würde zu sehr auffallen. Er wollte verhindern, daß sich irgend jemand an ihn erinnerte. Nur so konnte er sicherstellen, sich seinen Opfern unauffällig zu nähern.

Vivien bestellte ein Bier, das er in einem fettigen Glas auf den verdreckten Tisch geknallt bekam. Er bezahlte sofort und die vergaß nicht, der Wirtin trotz ihres Gestankes und ihrer inakzeptablen Unhöflichkeit genug Trinkgeld zu geben, damit sie keinen Grund hatte, ihn anzusehen, um eventuellen Unmut loszuwerden. Vivien zog den Krug nah zu sich, aber er trank keinen Schluck von der schaumlosen, lauwarmen Brühe. Mit wachem Blick sah er sich in der Kneipe um. Durch sein Nachtleben hatte er sehr gute Augen, denn sonst wäre es ihm wahrscheinlich nicht gelungen, den Schleier des Gestankes und des Qualmes zu durchdringen.

 

Schon nach wenigen Momenten hatte er ihn entdeckt. Ein junger Mann, viel zu sauber für diese Kneipe, ganz in Schwarz gekleidet, der eine Frau umwarb, die ihre beste Zeit bereits hinter sich hatte. Vivien war klar, was ein gepflegter, gut aussehender Mann von einer Frau wollte, die dem augenscheinlichen Alter nach seine Mutter hätte sein  könnten und der Körperhygiene offensichtlich fremd war: ihr Blut.

„Vampire sind widerlich. Ich würde eher verhungern, als mich von einer solchen Ansammlung von Dreck zu ernähren!“ dachte Vivien. Das Frauenzimmer lachte viel, wehrte sich aber noch gegen die Zudringlichkeit ihres Begleiters.

Der Vampirjäger wußte, daß es noch eine Weile dauern konnte, bis sein Opfer die Frau überzeugt hatte, mit ihm nach draußen zu gehen. So bückte er sich noch ein wenig tiefer über seinen noch immer vollen Bierkrug und ließ seinen Blick weiter durch den Schankraum streifen.

 

Plötzlich fiel ihm eine Frau auf, die ihn direkt ansah. Obwohl er sich nach außen nichts anmerken ließ, erschrak Vivien fürchterlich. Ein Vampir hatte ihn ins Auge gefaßt! Es gab keinen Zweifel, die Frau, die in einer dunklen Ecke saß, war eindeutig eine Blutsaugerin. Vivien mußte zugeben, daß sie wunderschön war. Sie sah sehr jung aus, obwohl sie sicherlich schon über hundert Jahre alt war. Das verrieten ihre traurigen grünen Augen, die wohl schon sehr viel Schmerz gesehen hatten. Ihr Gesicht hatte ebenmäßige Züge, ihre Lippen waren blutrot und schwarzes Haar umrahmte ihr schönes Antlitz. Sie sah Vivien gerade in die Augen und schien niemals zu zwinkern. Für einen kurzen Moment geriet er in Panik. Sie mußte über ihn Bescheid wissen, denn würde sie in ihm nur ein potentielles Opfer sehen, würde sie ihn umgarnen und versuchen zu verführen. Aber sie saß einfach nur da und sah Vivien mit einem Blick an, der ihm durch Mark und Bein ging.

Einen Moment lang überlegte er, was er jetzt tun sollte. Der andere Vampir war gerade dabei, mit der vor Vergnügen quietschenden Lady nach draußen zu gehen. Sollte Vivien ihnen folgen, oder sollte er lieber hier bleiben und abwarten, was diese geheimnisvolle Frau von ihm wollte? Er zögerte einen Moment, bevor er sich entschloß, dem ungleichen Paar nach draußen zu folgen. Hier galt es, einem unschuldigen Menschen das Leben zu retten. Würde die Vampirfrau Vivien verfolgen, würde er sich schon zu wehren wissen. Immerhin war sie nur eine Frau!

 

Als Vivien aus dem Lokal trat, atmete er einmal tief durch. Obwohl er mitten in einer benzin- und unratverseuchten Großstadt war, war die Luft hier draußen eine wahre Wohltat im Gegensatz zu dem Pestgestank in der Kneipe. Kurz horchte er und warf einen verstohlenen Blick hinter sich. Niemand war ihm gefolgt.

Er mußte zugeben, daß er einen Moment zu lange gezögert hatte, denn das Pärchen war außerhalb seiner Sichtweite. Aber zum Glück kicherte das Frauenzimmer in einer Lautstärke, die noch drei Gassen weiter zu hören war, weshalb es Vivien nicht schwer fiel, die Verfolgung aufzunehmen. Er trabte los, und als er an das Tor zum nächsten Hinterhof kam, sah er, wie der Vampir sich über die noch immer kichernde Frau beugte. Anscheinend dachte sie, ihr Verehrer wolle sie liebkosen, statt dessen blitzten seine scharfen Eckzähne im Mondlicht auf, bereit, sich in eine Ader zu graben.

 

Mit einem Satz war der Vampirjäger bei den beiden und riß die Frau zur Seite. Sie schrie kurz empört auf, als er sie auf einen Haufen vollgestopfter Müllsäcke schleuderte, doch sie war so besoffen, daß sie sich nicht mehr allein aufrappeln konnte und statt dessen dort, wo sie war, einschlief. Der Vampir fauchte Vivien an und zog im selben Moment sein Schwert. Doch diese Prozedur war für Vivien schon so zur Routine geworden, daß er viel schneller war als sein Opfer und ihm mit einem Schwung den Kopf abhackte. Er mußte die Vampire auf diese Weise erledigen, denn kleinere Wunden würden einfach wieder verheilen. Diese Biester waren ja beinahe unsterblich!

Eiskalt, von keiner Gefühlsregung bewegt, wischte Vivien mit einem Papiertaschentuch die Klinge ab und steckte das Schwert wieder zurück unter seinen Mantel. Dann drehte er sich um und verließ den Hinterhof. Die Gerettete würde ihren Rausch ausschlafen und sich am Morgen an nichts mehr erinnern, und der Körper des Getöteten würde beim ersten Sonnenstrahl der Morgendämmerung zu Asche zerfallen.

 

Zurück in der Kneipe sah Vivien, daß die mystische Frau noch immer auf ihrem Platz in der dunklen Ecke saß. Und wieder waren ihre Augen auf ihn gerichtet. Er setzte sich auf einen  Stuhl, von dem aus er sie gut im Auge behalten könnte und bestellte sich ein weiteres gepanschtes Bier, das er sogleich bezahlte. Vivien sah sich unauffällig im Schankraum um, ob er noch einen Blutsauger entdecken konnte, doch im Moment war der einzige Vampir im Raum die Frau, die ihn keine Sekunde lang aus den Augen ließ.

Vivien wurde unruhig. Er ließ sich nichts anmerken, aber er war innerlich komplett gespannt. Er verstand nicht, was die geheimnisvolle Fremde von ihm wollte. Hätte sie ihn töten wollen, wäre sie ihm wohl vorhin nach draußen gefolgt. Sie wollte offensichtlich etwas anderes, aber was?

Vivien zig den Hut tiefer ins Gesicht und blickte durch seine Wimpern auf die Frau, die ihn weiterhin mit ihrem Blick durchbohrte.

Als er schon meinte, die Spannung nicht mehr aushalten zu können, stand sie auf und kam auf ihn zu.

 

„Darf ich?“ hörte er eine Stimme sagen, die sehr tief für eine Frau war, und dennoch sehr melodisch und schön. Er sah auf und blickte ihr gerade ins Gesicht. Für eine Sekunde bewegten sich beide nicht. Und während er nickte, wanderte die Hand an den Griff seines Schwertes.

„Du wirst dein Schwert nicht brauchen. Schon gar nicht hier herinnen vor allen Leuten.“ Er sah ihr direkt in die Augen, und jetzt, da sie ihm so nahe waren, konnte er darin einen unsagbaren Kummer lesen, der tiefer war, als alle Qual der Welt. Er mußte wegsehen, denn dieser Blick löste in ihm Regungen aus, die er nicht verstehen konnte.

„Sie ist ein Monster. Sie sieht mich an wie eine Schlange ihr Opfer.“ dachte er, als er in sein schales Bier starrte.

Eine Weile saßen sie einfach beieinander, keiner rührte sich, keiner sprach ein Wort.

Dann ergriff sie endlich das Wort.

 

„Ich habe dich beobachtet. Du schlachtest meine Rasse ab. Und das, ohne mit einer Wimper zu zucken, ohne Reue zu verspüren. Du verfolgst uns und massakrierst uns, ohne auch nur einem eine Chance zu geben. Warum?“

Sie sprach sehr leise, und Vivien mußte genau hinhören, um ihre Worte zu verstehen. Genauso leise antwortete er ihr.

„Du fragst nach dem Warum? Weil ihr eiskalte Killer seid, die unschuldige Menschen nur zu ihrem Vergnügen töten. Alles, was ihr tut, ist Menschen zu verführen, um ihnen aus reiner Mordlust und Naschsucht das Leben zu nehmen. Das ist der Grund.“

Für einen Moment kehrte wieder Stille ein. Sie hörten die Geräusche der Wirtsstube nicht, denn sie waren mit ihren eigenen Gedanken so sehr beschäftigt, daß die Welt ringsumher vergessen war.

„Manche meiner Rasse töten, um zu überleben. Das tun manche deiner Rasse auch. Hast du schon daran gedacht? Und aus reiner Mordgier töten nur die Mitglieder deiner Rasse. Wir  brauchen Blut, um zu überleben. Dieses Blut nehmen wir von Kreaturen, die ein ohnehin erbärmliches Leben führen.“ Hörte Vivien die Stimme der schönen Vampirin.

Das war doch die Höhe, was sie da behauptete! Sofort erwiderte er: „Meine Frau führte kein erbärmliches Leben, wir waren glücklich. Und eine Kreatur deiner Rasse kam und nahm ihr dieses Glück. Er tötete sie einfach. Einfach so.“

Wieder herrschte für einen Moment Stille um die beiden. Die Frau sah auf Viviens Hände und bemerkte, daß er blutete. Sie nahm ein Stofftaschentuch aus ihrem Mantel, auf das sie ein wenig ihres Speichels tropfen ließ. Sie wollte damit über Viviens Hand streichen, doch er zog sie zurück. Er würde sich doch nicht von dieser Kreatur helfen lassen! Doch sie nahm seine Hand mit sanftem und doch festem Griff und reinigte die Verletzung, die er sich bei dem Kampf zugezogen hatte, mit ihrem Speichel. Anscheinend hatte die Frau im Hinterhof ihn mit ihren langen Nägeln gekratzt. Innerhalb eines Momentes war die Wunde verheilt.

„Deine Frau also. Ja, es gibt auch bei uns welche, die sich nicht im Zaum halten können. Einer hat deine Frau getötet. Und wie viele hast du von uns getötet? Wie viele von denen, die keine Menschen töten, sondern sich vom Blut der Tiere ernähren, wie ich? Ihr Menschen seid es doch, die sinnlos töten, die Kriege führen wegen irgendwelcher Ideale, wegen Geld, wegen Macht. Ihr seid es, die wehrlose Frauen und Kinder töten, weil sie im Weg sind. Ihr tötet einander um Geld, zum Vergnügen, aus sexueller Gier. Aber uns siehst du als Monster. In deinen Augen sind wir die Bestien, die den Tod verdient haben, weil ein einziger von uns, der übrigens inzwischen den Tod durch einen wie dich gefunden hat, es gewagt hat, einen von deiner Rasse zu töten. Aber wer ist hier wirklich die Bestie? Du würdest mir den Kopf abhacken, wenn du könntest, nur weil ich zufällig zur selben Rasse gehöre wie der Mörder deiner Frau. Meine ganze Familie wurde von Menschen auf brutalste Weise ausgerottet, was würdest du sagen, wenn ich nun einen Rachefeldzug gegen die Menschen beginnen würde?“

 

Vivien war für einen Moment sprachlos. Gedanken wirbelten in seinem Kopf durcheinander, Gefühle drohten, ihn zu überwältigen. Nach einigen Sekunden hatte er sich wieder ein wenig im Griff. Er öffnete den Mund, um zu sprechen zu beginnen, doch als er auf sah, war der Stuhl ihm gegenüber leer. Die Frau war verschwunden. Sie hatte seine Verwirrung genutzt, um das lokal  zu verlassen, um aus seinem Leben zu treten.

Verwirrt stand Vivien auf und verließ  die Kneipe. Auf der Straße atmete er einmal tief durch und richtete seinen Blick nach oben zum Himmel. Er betrachtete die Sterne und den Vollmond.

Erfolglos versuchte er, gegen aufsteigende Tränen zu kämpfen.

 

Dann senkte er seinen Blick und machte sich auf den Weg nach Hause.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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