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Aflenz, 19.11.2007

Tag 12 - Spaziergang im Märchenwald

Die letzte Nacht war abenteuerreich. Schlau, wie ich manchmal sein kann, habe ich abends noch  in dem Buch „Bloody Irish“ geschmökert, das alte keltische Vampirgeschichten zum Inhalt hat. Der Autor, Bob Curran, ist leider eine Meister seines Handwerkes, sodass mir Schauer des Grauens über den Rücken liefen.
Weil ich wusste, dass ich die ganze Nacht von blutsaugenden Händen und rätselhaften Jünglingen träumen würde, wenn ich meinen Geist nicht noch mit etwas anderem vor dem Einschlafen ablenken würde, wollte ich noch etwas in Ellen White´s „Propheten und Könige“ lesen. Kaum hatte ich einen Absatz geschafft, ging das Licht aus.
Na toll, Birne kaputt.
Dachte ich mir, lag damit aber daneben. Ich hatte gar keinen Strom mehr im Zimmer, einzig das rote Standbylicht des Fernsehers leuchtete. Zum Glück gibt das Display meines Handys recht viel Licht ab, so fand ich meinen Weg zur Tür. Erleichtert stellte ich fest, dass wenigstens am Gang Licht brannte, es war also nicht das ganze Haus von der Stromzufuhr abgeschnitten. Mittels Handydisplay tastete ich mich zum Telefon und rief in der Rezeption an. Dort informierte man einen Haustechniker und versicherte mir, dass ich bald wieder Strom haben würde.
Bis dahin, es war nach elf Uhr nachts, stand ich an der offenen Zimmertür im Licht des Gangs. Und bekam mit, dass sich um diese Zeit jemand aus seinem Zimmer in ein andere Stockwerk schlich. Leider habe ich nicht gesehen, wer es war, aber ich vermute mal, dass es hier (wieder einmal) ein Liebespaar gibt und sich der eine Lover nach der Gitterbettsperre (um 22.30 müssen alle im Zimmer sein, das wird auch kontrolliert) zum anderen geschlichen hat. Vielleicht sollte ich mich nachts mal auf die Lauer legen...
Irgendwann kam der Strom wieder.
Nun gut, ich konnte dann doch noch ein paar beruhigende Seiten von Ellen White´s Werk lesen und schlief danach sehr gut.
Morgens stand ich relativ leicht auf und war pünktlich um kurz nach sieben beim Frühstück. Es gab einen Kornspitz mit Schnittkäse. 2 Blatt Schnittkäse, die gerade mal auf eine Hälfte des Weckerls passten. Also belegte ich die zweite Hälfte mit Bananenscheiben.  Sind zwar wieder viel Kalorien, aber das verkrafte ich auch  noch, ich werde mich sicherlich auch in Zukunft zurück zu Hause gesund und maßvoll ernähren, aber ich werde nicht einer dieser verkrampften Kalorienzähler werden!
Vormittags hatte ich keinerlei Therapien, Untersuchungen oder Vorträge, das Wetter versprach schön zu werden (mal abgesehen davon, dass es meiner irlandgeschädigten Meinung nach kein schlechtes Wetter gibt, nur falsche Ausstattung), also beschloss ich, eine kleine Wanderung zu unternehmen.
Zuerst kehrte ich noch in der Post und der Buchhandlung ein, weil ich Kuverts, Billets, Ansichtskarten und Marken brauchte, und dann ging es los.
Erst durch den Kurpark und dann eine Route weiter, die laut Wegweiser Richtung „Lammerbauer“ ging. Das war zuerst ein bequemer, gerader verschneiter Weg in ein Waldstück hinein. Schon als ich in den Wald kam, nahm ich mir die Ohrstöpsel meines MP3-Players aus den Ohren, weil ich Ruhe und Frieden und Stille genießen wollte.
Nach einem Stück im Wald kam ich plötzlich auf eine Lichtung, eigentlich einen Kahlschlag, heraus, von dem aus man beinahe das ganze Tal übersehen konnte. Das war ein Anblick!
Ein recht breites Tal mit mehreren Orten und Straßen, dazwischen Wälder, rundherum Hügel und Berge und Wälder, alles winterlich verschneit. Darüber Hochnebel, der sich an den Bergkämmen bereits zu heben begann, hin und wieder blitzte ein Stück blauen Himmels hindurch. Ich ging auf dem Wanderweg weiter, blieb aber immer wieder einmal stehen und genoss einfach den wunderbaren Anblick.
Nach ein par hundert Metern kam ich wieder in einen Wald, wo mir gleich mehrere relativ zutrauliche Eichhörnchen begegneten. Die ließen mich auch etwa 5 Meter herankommen, bevor sie die Flucht ergriffen. Und auch dann rannten sie nicht wirklich weit weg, sondern nur die Baumstämme etwas hinauf, von wo aus sie mich beobachteten.
Es war eine Rasse, die mir bis dato unbekannt war, sehr groß für Eichhörnchen, und nicht rot- sondern eher dunkelbraun mit einem weißen Bauch. Sie raubten die unzähligen aufgestellten Vogelhäuschen aus.
Im Wald hatte ich die Wahl, ob ich weiter den Weg Richtung Lammerbauer nehmen wollte oder doch den „Schönen Waldweg“ nahm. Der Waldweg ging ein wenig bergauf und sah recht unbegangen aus, weshalb ich mich für ihn entschied.
Hier hatte noch keiner den Schnee weggeräumt, weshalb ich mir einen Weg durch wadenhohe weiße Pracht stapfte. Ich war ehrlich froh, nicht Turnschuhe anzuhaben, sondern mir doch noch kurz vor meiner Abfahrt in Klagenfurt knöchelhohe Winterschuhe gekauft zu haben.
Es war wie im Märchenwald, im Schnee entdeckte ich jede Menge Fährten von Rotwild, Füchsen, Vögeln, Mardern und anderem Getier. Es war relativ warm und taute, weshalb immer wieder ganze Ladungen Schnee von den hohen Bäumen fielen. Mehr als einmal wurde ich unter einer weißen Wolke „begraben“. Hin und wieder plumpste  genau neben mir ein Batzen auf den Boden, was sich anhörte und wirkte, als würde ein Waldtroll mit Schneebällen nach wir werfen.
Nach einigen Metern auf diesem wunderschönen Weg kam ich an eine kleine Brücke, die sich über einen Minibach bog. Ein malerisches, beinahe schon kitschiges Bild!
Wieder einige Meter weiter machte der Weg eine Schleife und ging dann ziemlich steil bergauf. Ich kämpfte fortan also nicht nur gegen gefrorenes Wasser und schneeballwerfende Fabelwesen, sondern auch gegen eine ziemlich rutschige Steigung. Mitten in meinem Aufstieg lag ein gewaltiger umgerissener Baum quer über den Weg. Ich sah mich um, ich hätte sicherlich darüber steigen können, aber etwas mulmig war mir bei dem Gedanken schon, weil ich mir dachte, es könnte leicht passieren, dass der Stamm durch mein Gewicht plötzlich ins Rutschen kommt und den Hang hinunter fährt. An ein Rundherumgehen war wegen der extremen Steigung nicht zu denken. Außerdem konnte ich sehen, dass auch danach noch viele Bäume quer über den Weg lagen, es gab ziemlich viel Schneebruch. Also beschloss ich umzudrehen.
Auf dem Rückweg entdeckte ich an der Gabelung, an der ich davor vorbeigekommen war, einen dritten Weg, der auch in Richtung Aflenz führte, aber ziemlich bergauf. Den wählte ich. Es war ein wunderbar breiter, größtenteils vom hohen Schnee geräumter Weg, der mir wieder einen wunderschönen Ausblick über das Tal bot. Inzwischen hatte sich der Hochnebel gelichtet und Sonnenstrahlen wärmten meine schon etwas abgekühlten Beine. Es war einfach herrlich.
Irgendwann einmal mündete der „Schöne Waldweg“ auf „meinen“ Weg, so wusste ich nun also auch, wo ich herausgekommen wäre, wären die Stämme nicht im Weg gewesen.
Nach einer Weile ging es wieder bergab, bald kam ich zu einer Weggabelung. Ich hätte entweder stark bergab gehen können oder ziemlich gerade weiter auf einem Weg, der aus irgendeinem Grund gesperrt war. Nur für Autos, dachte ich, aber die Absperrung galt auch für Fußgeher, wie sich später herausstellte.
Ich ging also auf dem vorerst recht flachen Weg, es stellte sich bald heraus, dass er zur „Österreichhöhe“ führte, jenem Monument, das ich an meinem ersten Tag in Aflenz anstrebte und querfeldein über einen Steilhang erreichte. Und auch hier schien immer wieder einmal die Sonne durch die Bäume, was ich sehr genoss.
Relativ bald erkannte ich, welchen Sinn die Absperrung hatte: Es gab fürchterlichen Schneebruch, und immer wieder lagen umgestürzte Bäume quer über den Weg. Den meisten konnte man recht gut ausweichen, aber ein paar waren so groß und lang, dass man entweder darüberklettern oder darunterdurchkriechen musste.
Irgendwann kam ich wieder zurück auf eine normale Straße, völlig durchnässt und ziemlich schmutzig. Aber das machte mir nichts aus, ich wusste, ich würde bald im Heim sein, wo ich mich umziehen und duschen konnte.
Der Rückweg auf der Straße war recht feenhaft, denn es ging ein leichter Wind, sodass ständig winzige Schneeflöckchen durch die Luft wirbelten. Das glitzerte und flimmerte und wirkte wie verzaubert.
Schon kurze Zeit später war ich zurück in meinem Zimmer und realisierte, dass ich, obwohl ich recht flott gegangen war, knapp zwei Stunden unterwegs gewesen war. Es war mir gar nicht so lange vorgekommen, weil es einfach so wunderschön war.
Ich stieg gleich aus meiner nassen Wäsche und steckte sie in die Waschmaschine. Es ist wirklich ein Segen, dass man hier die Möglichkeit zum Wäschewaschen hat. So brauchte ich nicht so viel Gewand mitnehmen und komme mit einer Tasche voll sauberer Klamotten nachhause. (Nachhause.....hach...*seufz*)
Ich konnte noch ein bisschen lesen, dann war es schon wieder Zeit für das Mittagessen.
Am Plan stand Steirisches Wurzelfleisch mit Gemüse und Kartoffeln, ich bekam Kartoffellaibchen mit Gemüse, das war  recht gut. Dazu hausgemachten Rote-Rüben-Salat.
Mann, ich bin verrückt nach „Ronen“, wenn es nach mir ginge, bräuchte es mittags gar nichts anderes geben, nur eine große Schüssel voll von diesem Salat. Vorzugsweise mit Kren und Kürbiskernöl, yammi!

Gleich um eins fanden die Entspannungsübungen statt. Diesmal machten wir nicht wie letzten Male autogenes Training, sondern die „progressive Muskelrelaxation“, erfunden von einem Typen namens Jacobson. Dabei spannt man gewisse Muskeln etwa zehn Sekunden lang an, um sie danach locker zu lassen und die Entspannung bewusst wahrzunehmen. Es gibt dabei zehn Stationen, zum Beispiel die Hände, den Bizeps, den Trizeps, die Schultern, das Gesicht und so fort. An drei der zehn kann ich mich nicht mehr erinnern, da muss ich eingeschlafen sein. Ich weiß noch, dass ich die Schultern entspannt habe und das Gesicht, dann habe ich einen Filmriss, und dann habe ich wieder was mit den Füssen gemacht...Es hat also funktioniert.
So langsam lerne ich auch abzuschalten. Anfangs konnte ich das gar nicht, auch heute kann ich nicht meine Gedanken einfach ausblenden, aber wenn ich mich auf so Muskelübungen oder einen Phantasiespaziergang konzentriere, dann geht es. Ich musste hier in Aflenz ohnehin erst lernen, mir selbst keinen Druck zu machen. Ich kam mit viel zu hohen Erwartungen her, war dann enttäuscht, weil ich nur so wenig Therapien habe. Ich wollte doch sie viel wie nur irgendwie möglich machen. Aber inzwischen weiß ich, dass es auch wichtig ist, Zeit für mich und Gelegenheit zur Entspannung zu haben. Ich gehe die Dinge bereits ruhiger an. Deswegen ist hier mein Blutdruck wahrscheinlich auch immer so schön.
 Heute zum Beispiel hatte ich um vier Yoga. Das Schwimmbad macht um drei auf. Wäre ich vor dem Yoga ins Wasser gegangen, hätte ich nur eine dreiviertel Stunde gehabt, ich hätte dauernd auf die Uhr gesehen und hätte mich dann voll Aufregung geduscht und umgezogen. Danach ging es auch nicht mehr, da hätte ich nur eine halbe Stunde gehabt. Also habe ich darauf verzichtet, ich war nicht schwimmen. Nach dem Abendessen wäre es noch gegangen, aber da war die Kreativtherapie, und zu der wollte ich unbedingt gehen. Ich habe das gewählt, was mir Spaß macht, und nicht das, von dem ich dachte, ich müsste es unbedingt machen, weil...Ja, warum eigentlich? Klar, die Bewegung ist wichtig, aber ich hatte eh schon einen langen Spaziergang, und das Modellieren ist mir für mich persönlich wichtig. Und ich machte mir selbst weder Druck noch Vorwürfe deswegen. Das klingt jetzt wie eine Lappalie, und wer mich kennt, kann sich kaum vorstellen, dass ich innerlich so unter Druck stehe, weil ich auf die meisten ruhig und gelassen, träge und chaotisch wirke. Aber wenn ich nach außen hin träge bin, heißt das nicht, dass mein Inneres das auch ist. Da drin arbeitet es manchmal so ab, könnte ich mit Gedanken und Gefühlen Energie erzeugen, würde ich Klagenfurt bereits allein versorgen. Wenn die Kur sonst nichts helfen sollte, so habe ich zumindest gelernt mal einen Gang zurückzuschalten und es innerlich ruhiger anzugehen.
Na, nun aber zurück zum Tagesprogramm.
Zwischen den Entspannungsübungen und Yoga versuchte ich so ein bisschen abzuschalten und die Erinnerungen an den schönen Spaziergang auf mich wirken zu lassen, legte mich auf´s Bett und lauschte der Musik auf der SD-Karte, die mein Schatz mir am Samstag mitgebracht hatte. Zwischen jeder Menge Klassik und Irish Folk hatte er mir drei Tracks dazugespielt, die so gar nicht dazupassten: Einmal „unser“ Lied von Papermoon (durch das wir mehr oder weniger zusammengekommen sind, aber das ist eine andere Geschichte) und zweimal was von Simon&Garfunkel, Lieder, die aus diversen Gründen auch eine sehr besondere Bedeutung für uns haben. Ich war so bewegt, dass ich mich gleich hinsetzte und einen Brief an meinen Schatz schrieb.
Danach fasste ich mich wieder und ging zum Yoga, wo ich ein paar neue Verrenkungen erlernte.
Nach dem Yoga war es nur noch eine Stunde bis zum Abendessen, die ich mit Musikhören und Lesen verbrachte.
Zum Abendessen gab es Spinatpalatschinken. Das schmeckte sehr gut, nur irgendwie ging mir eine Sauce dazu ab, es wirkte etwas trocken, aber geschmacklich war es wirklich top!
Und nach dem Abendessen ging es zur Kreativtherapie, Susi und ich hatten solange auf Hermi eingeredet, bis sie auch mitging. Sie redete zwar die ganze Zeit negativ darüber, aber ich denke, es hat ihr doch gar nicht so schlecht gefallen. Ich habe wieder modelliert, diesmal die Figuren einer Weihnachtskrippe. Ich habe bereits Maria, Josef, das Kind, 2 Hirten und den Engel, wobei mir er Engel am meisten Zeit und Nerven gekostet hat. Ich habe ihn einfach nicht so hinbekommen, wie ich wollte. Nun sieht er genauso einfach aus, wie die anderen Figuren, nur größer und mit Flügeln. Nicht einmal die Flügel wollten mir gelingen, sie sehen aus wie von einer angesengten Fledermaus. Aber die anderen meinten, er sehe gut aus, also habe ich mich nicht weiter herumgeärgert, sondern ihn so belassen. Wie ein in der Bibel beschriebener Engel sieht er nun nicht aus, aber man erkennt, was er darstellen soll. Das nächste Mal kommen noch die Weisen aus dem Morgenland und ein paar Schafe. Ich hätte auch noch gerne ein Kamel, aber das bekomme ich sicher nicht hin, ich habe ja nicht einmal einen Hirtenhund zustande gebracht.
Zurück im Zimmer sah ich am Handy, dass mich zwei Leute angerufen haben, beiden Nummern konnte ich keinen Personen zuordnen. Ich rufe prinzipiell nicht zurück, ich denke mir immer, wenn jemand etwas von mir wollte, dann wird er es schon noch einmal probieren. Dafür telefonierte ich noch ausgiebig mit meinem Süßen, bevor ich müde in die Waagrechte fiel.
Und wieder ein Tag vorbei.

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Tag 13

Aflenz, 20.11.2007

Tag 13 – ein Mythos wird zerstört

Heute wollte ich so ganz und gar nicht aufstehen. Ich hatte um halb acht Therapie, ich wusste, ich  musste deswegen pünktlich um sieben beim Frühstück sein. Um dreiviertel sieben bin ich endlich aus den Federn gekrochen, habe mich notdürftig zivilisiert und bin beinahe auf allen vieren in den Speisesaal. Dort hat mich – wie immer – gleich der Pharmareferent am Nebentisch mit einem herzlichen Lächeln begrüßt. Wenn es für mich persönlich nicht allein schon der Gedanke abwegig wäre, dass mich jemand attraktiv finden könnte, würde ich wirklich sagen, dass er scharf auf mich ist.....und ich nicht weiß, was ich davon halten, geschweige denn, wie ich damit umgehen soll. Also gehe ich mal davon aus, dass ich mich täusche. Aber es fällt mir eben auf, dass er immer total erfreut dreinschaut, wenn er mich sieht, und mich dann auch nicht aus den Augen lässt. Ich habe mich schon dabei ertappt, das ich seinetwegen einen Hüftschwung hingelegt habe, bis ich mir bewusst gemacht habe, dass das affig aussieht und mich wieder zusammengerissen habe.
Na gut, zum Frühstück hab es ein Vollkornweckerl und Liptauer. Ich weiß nicht, ob meine Ansprüche wegen der durchaus guten Küche immer höher werden, oder ob die Aufstrichportionen tatsächlich immer geringer werden. Liptauer kann doch nicht so viel Kalorien haben, das ist doch nur Topfen mit Gewürzen! Es gab also wieder Banane auf eine Weckerlhälfte...
Nach dem Frühstück die Massage, herrlich kann ich nur sagen, bei einem eher schweigsamen Masseur, ein Traum! Weniger ein Traum war es, als ich realisierte, womit er beim Massieren ständig an meine Hüfte stieß. Aber er ist ein Profi, es wurde nichts hart, ähem...
Im Zimmer ließ ich die Wirkung der Durchkneterei noch ein bisserl nachziehen, schnappte mir dann ein Buch und machte mich auf zu den Ordinationen, denn es stand die Zwischenbesprechung bei meinem Kurarzt an. Ein klein wenig mulmig war mir schon zumute, aber ich beschloss, ganz entspannt zu bleiben und diesmal meine Sinne zu bewahren, um notfalls schlagfertig sein zu können.
Als ich so darauf wartete dranzukommen, setze sich der Pharmareferent zu mir. Er brauchte vom Arzt nur eine Unterschrift unter ein Blutuntersuchungsattest. Also ließ ich ihn vor, ich hatte ja keinen Zeitdruck. Dafür bedankte er sich so ungefähr siebenhundertvierzehnmal, buckelte beinahe vor mir.
Und dann war ich an der Reihe. Dieses Gespräch war so konträr zu den anderen, die ich hier mit Ärzten hatte, dass ich es genau wiedergeben muss:
„Guten Morgen, Frau XXX, nehmen Sie doch  Platz!“
Ich grüße zurück und setze mich. Er tippt noch was in seinen Computer und fragt mich dann, wie es mir geht. Naja, gut, eigentlich.
Daraufhin meint er: „Na, dann schaue ich einmal nach, ob es Ihnen wirklich so gut geht. Die Blutwerte sind ganz in Ordnung, die Entzündungsparameter ein wenig erhöht, da waren Sie wahrscheinlich verkühlt. Die Harnsäure ist minimal erhöht, noch im oberen Grenzbereich, das bekommt man leicht diätetisch hin, da brauchen Sie keine Medikamente. Und ansonsten ist alles bestens.“ Und das sagt so in einem ganz lockeren Ton, ich war baff. Aber diesmal im positiven Sinn!
Ich fragte ihn, ob er mein Blutdruckprotokoll sehen will, er bejahte und nahm es entgegen, warf einen Blick darauf, nickte zustimmend. Ich meinte, dass der letzte Wert von heute ein bisschen hoch sei, aber ich sei auch sehr aufgeregt.
„Wieso denn das, haben Sie Angst vor mir?“
„Totale Weißkittelphobie.“
„Naja, ich kann mich jetzt auch nicht da für Sie umziehen.“ Und wir mussten beide lachen. Lachen!!!
Und dann fragte er mich, ob ich denn mit Ärzten und Therapeuten so schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Ich erzählte ihm, dass ich als Kind wegen Un- und Notfällen oft im Krankenhaus war und deswegen weiße Kittel im Inneren immer gleichgesetzt habe mit Schmerzen und Spritzen. Er erzählte mir dann, wie es für ihn war, als er als Kind sechs Wochen lang auf Quarantäne wegen Scharlach war und die Nonnen ihn verprügelt haben. Wir haben uns ganz locker miteinander unterhalten, zum Abschluss meinte er noch, ob ich wohl mit allem klarkomme und dass ich sofort kommen soll, wenn ich irgendetwas brauche. Ich war begeistert! Als ich aufstand, begutachtete er noch mein T-Shirt (schwarz, vorne drauf eine Horde singender Tiere im Comic-Style, darüber der Schriftzug „Songs of Ireland“) und schmunzelte in ich hinein. Hätte ich ihn so bei meiner ersten Untersuchung kennengelernt, ich hätte diesen Mann mit seinem herben Charme geliebt!
Als ich die Ordination verließ, war meine Laune high up to the sky, ein Lied summend ging ich ins Zimmer.
Die restlichen 2 Stunden bis zum Mittagessen verbrachte ich mit dem Tippen des gestrigen Tagebucheintrages und etwas Surfen im Internet, dann läutete schon der Gong.
Es gab irgendein Schnitzel mit Polenta und Broccoli, ich bekam gepressten Sterz, also eigentlich Polentalaibchen, mit Broccoli und einer Joghurtsauce. Sehr, sehr gut, wo ich doch Broccoli und Sterz liebe! Dazu Karottensalat, ich war im Himmel. Und als Dessert Schokopudding.
SCHOKOPUDDING!
Das war heute einfach mein Tag.
Und als ich so dasaß und friedlich wiederkäute, drehte sich der Pharmareferent, ich weiß leider absolut nicht, wie er heißt, zu mir um und meinte: „Morgen komme ich zu dir.“
Mir fiel die Kinnlade bis zum Tisch, und ich habe die Augen vor Erstaunen so weit aufgerissen, dass es mir selbst auffiel. Dürfte kein schönes Bild abgegeben haben, denn Heinz hat sich zerkugelt. Ich wusste wirklich nicht, was er meinte, und dachte, er will zu mir ins Zimmer kommen. Da hätte er sich aber geschnitten!
Er muss meinen Blick richtig gedeutet haben, denn er amüsierte sich offensichtlich. Er meinte noch als Draufgabe: „Falls es dir recht ist.“
Na, wenigstens gewann ich meine Fassung wieder und versuchte cool zu wirken, als ich meinte, das würde ganz davon abhängen, mit welcher Absicht er kommen würde. Daraufhin lachte er und erklärte, dass er in das Zimmer neben mir umziehen müsse. Organisatorisch ist es im Haus nämlich notwendig, dass man in ein leer stehendes Zimmer umzieht, wenn die Kur verlängert wird. Und da die Depressive ja heimgefahren ist, steht das neben mir frei. Was bedeutet, dass der Pharmatyp in Zukunft bei den Mahlzeiten neben mir sitzen wird...
Irgendwie freue ich mich darüber, denn ich habe ihn gern, man kann sich gut mit ihm unterhalten. Anderseits – was ist, wenn ich mit meiner vorhin erwähnten Vermutung Recht habe - Ganz wohl ist mir nicht bei dem Gedanken.
Als ich Hermi, die das nicht mitbekommen hatte, erklärte, wer morgen an unseren Tisch kommt, meinte sie: „ Na, hoffentlich haben wir dann noch Platz am Tisch.“
Es ist nämlich so, dass Susi und Hermi sehr schlank sind, während ich ne Mordshummel bin (Diesen Ausdruck gebrauchte vor einiger Zeit eine Freundin, als sie mich auf meinem Motorrad sah.),  der an der Stirnseite des Tisches sitzende Heinz recht stark übergewichtig und der ab morgen neben mir sitzende Pharmatyp, sehr brutal aber treffend ausgedrückt, eine Fettlawine ist. Woah, da war ich einen kurzen Moment echt sauer auf Hermi und meinte, sie sei wirklich gemein. Woraufhin sie sofort relativierte und meinte, sie hätte das nicht auf mich bezogen. Na gut, aber ganz sicher bin ich mir da nicht.
Wir hatten trotzdem noch jede Menge Spaß beim Essen, Susi und ich brachten Heinz einmal so zum Lachen, dass er sich böse verschluckte und schon ganz blau anlief. Zum Glück ging die Sache aber glimpflich aus.
Außerdem erzählte und Susi die neuste Story von der Schnepfe:
Morgens beim Frühstück an ihrem Platz ein „Nüchtern“-Schild. Einer der anderen Kurgäste hatte ihr das aus Scherz hingestellt. Die Schnepfe wusste das aber nicht und dachte, jemand vom Personal hätte sich vertan. Und was machte die Kuh? Sie ging zum Primar, um sich zu beschweren, woraufhin der das Speisesaalpersonal zusammenstauchte! Als sich dann herausstellte, wie es zu diesem „Irrtum“ kam, regte sich die Schnepfe den ganzen Tag über bei jedem, mit dem sie zu sprechen kam, darüber auf. Hin und wieder höre ich ja, was sie beim Essen auf ihrem Platz hinter mir so sagt, ihre Lieblingsphrase ist: „Das sind ja keine normalen Menschen.“ Das Putzpersonal ist nicht normal, weil es irgendein Staubfussel übersehen hat, das Küchenpersonal ist nicht normal, weil es nicht nach ihrem Geschmack kocht, ihre Tischgenossen sind nicht normal, weil sie ihr diesen „Streich“ gespielt haben, die anderen Kurgäste sind nicht normal, weil sie, was weiß ich, zu fett, zu unfreundlich, zu leger gekleidet sind. Aber Hauptsache, Madame selbst ist normal. Und sich zu schön, auch nur einen Handgriff, den alle anderen hundert Patienten machen können, zu tun. Wozu hat man Personal?
Susi und ich überlegen schon hart, welchen Streich wir der Schnepfe spielen könnten, ohne dass es auf das Personal zurückfallen kann. Kreativ und bösartig, wie wir nun einmal sind, wird uns schon noch etwas einfallen.
Andererseits, hätten wir Leute wie die Schnepfe, den obergescheiten „Professor“ oder die Piratenbraut (die Susi wegen der mörderischen Frisur inzwischen Lilly Monster nennt)  nicht, wäre es hier ja direkt langweilig. ;-)
Es ist auch total witzig, dass andere, wenn wir in deren Gegenwart die Piratenbraut mit diesem Spitznamen bedenken, sofort wissen, wer gemeint ist. Heinz ist vor Lachen fast erstickt, als ich sie „Jack Sparrow´s Großmutter“ nannte.
Gut, wo waren wir? Mittagessen.
Gleich danach gab es einen Vortrag über Bluthochdruck. War sehr informativ und gut gemacht. Obwohl er für mich nicht wirklich relevant ist, hörte ich gespannt zu.
Bis zum Yoga hatte ich dann noch etwas Zeit, also zog ich mich um und ging ein ging spazieren. Ganz kurz kehrte ich noch beim Lebensmittelgeschäft ein, wo ein umtriebiger Verkäufer mich umwuselte. Ich hatte in meinem Blog einmal einen Eintrag über meine Erlebnisse in einem Feinkostgeschäft im nobelsten Villenviertel von Klagenfurt. Dorthin fühlte ich mich heute versetzt. Der Typ sprach mit mir, als wäre ich die Freifrau von Sowieso und sein Leben von meiner Gunst abhängig. Es ist schön, wie eine Lady behandelt zu werden, aber solche zur Schau gestellte Unterwürfigkeit stoßt mich ab. Ich kaufte mir Tee, weil mir der zu starke Kräutertee und doch auf den Magen schlagende Früchtetee schon bis oben stehen. Dazu ein kleines Fläschchen mit Zitronensaft. Und nun doch die Haarspangen, die mir im Kopf herumspuken, seit ich sie gesehen habe. Es gäbe sie in Rot, Rosa und Braun, immer in verschiedenen Hell- und Dunkeltönen. Ich entschied mir für Rot. Und dieser Kauf war sicherlich besser, als wenn ich was Süßes gekauft hätte, obwohl mich die Dörrfrüchte schon sehr lockten....Als es dann zum Bezahlen kam, machte die Rechnung ein paar Euro und 76 Cent aus. Der umtriebige, devote Verkäufer fragte mich, ob ich die Cent nicht „klein“ hätte. Hatte ich nicht, aber 80 hatte ich, die legte ich ihm hin und meinte, das würde schon passen. Er bekam also 4 Cent „Trinkgeld“. Woraufhin er sich ungefähr sieben Millionen mal bedankte und mich eine „großzügige Fürstin“ nannte. Spätestens da wurde mir der Typ unheimlich und ich machte, dass ich aus dem Geschäft kam. Ich weiß noch immer nicht, ob der Typ so einen Knall hat, dass er das ernst meinte, oder ob er mich verarscht hat.
 Nach diesem Erlebnis spazierte ich endlich los, ich kam jedoch nicht weit, denn im Kurpark stellte sich heraus, wer gestern versucht hatte mich anzurufen: Meine Schwägerin rief an, um sich für die Lätzchen zur Taufe zu bedanken. Das Gespräch nahm einen recht eigenartigen Anfang, weil ich dachte, sie wüsste bereits, dass ich auf Kur bin. Was sie wirklich mitbekommen hatte war, dass ich in der Steiermark bin, so dachte sie, ich sei bei meinen Eltern. Deswegen wirkte sie etwas verwirrt, als sie mich fragte, wie es mir gehe, und ich antwortete, dass ich hungrig sei, weil ich hier nur 1000 Kalorien am Tag bekomme. Aber als sich der Irrtum aufklärte, plauderten wir eine ganze Weile. So konnte ich nicht weit gehen, weil ich nicht außer Atem kommen und ins Telefon keuchen wollte. Sonst hätte sie noch gedacht, sie hätte irrtümlich eine Mehrwertnummer angerufen...
Zurück im Zimmer hatte ich es etwas eilig, mich in den Badeanzug und die Klamotten für´s Yoga zu werfen. Ich kam aber noch rechtzeitig in den Gymnastiksaal (In dem noch immer 2 sehr verlockende Basketballkörbe hängen, aber wer spielt hier mit mir Korbball???). So anstrengend anfangs Yoga für mich war, so sehr genieße ich es jetzt. Ich schaffe noch immer nicht alle Übungen (Obwohl die Therapeutin meint, das seien nur extraeinfache Übungen für totale Anfänger. Sehr aufbauend *hmpf*)  so wirklich, aber doch eine ganze Menge. Und ich merke, dass ich um einiges beweglicher geworden bin in den nicht einmal zwei Wochen bis jetzt. Ich weiß nicht, ob es nur vom Yoga kommt, oder auch von meiner regelmäßigen Gymnastik im Wasser samt Dehnung. Egal, was es auch ist, es hilft. Meine Weichteilhemmung ist natürlich noch immer hochgradig störend, aber wenigstens das, was nicht durch mein Körperfett behindert wird, gewinnt an Beweglichkeit. Gut, denn in meiner doch sehr sportlichen Jugend war ich extrem gelenkig, das fiel immer wieder Kollegen und Lehrern auf, ich möchte nicht alles davon verloren haben.
Nach den Verrenkungen ging es ins Wasser. Da gibt es nichts Aufregendes zu berichten, heute waren kaum „Störfaktoren“ vorhanden. J
Da mir heute eine saftige Fieberblase aufgefahren ist, habe ich auf die Sauna verzichtet. Ich vermute nämlich, dass ich die Blase erst durch die zu heiße Sauna bekommen habe. Ich habe mir nämlich letztes Mal die Lippen irgendwie angesengt, sie taten zwei Tage lang sehr weh und schälten sich mehrmals. Und jetzt habe ich die Blase. Und die ist sehr, sehr lästig! Ich hoffe, das Chlorwasser schadet da nicht.
Vor dem Abendessen habe ich noch ausgiebig geduscht und meine Haare gewaschen. Und da ich gerade dafür in Stimmung war, habe ich mir etwas Hübsches angezogen und mit den neuen Spangen eine hübsche Frisur hinbekommen. Extra für den Pharmazeuten, der gar nicht zu mir hergesehen hat als Strafe. ;-p
Dafür fragten mich Hermi und Susi, für wen ich mich denn so in Schale geworfen hätte. Um ganz ehrlich zu sein – für mich, ich fühlte mich gut und habe mich dementsprechend hergerichtet.
Heute wäre wieder Kreativtherapie gewesen, aber irgendwie waren heute alle so müde, dass wir einheitlich gesagt haben, wir lassen es ausfallen. Anscheinend spüren heute alle schon den Föhn, der uns für übermorgen angekündigt wurde, denn alle klagen über Müdigkeit und Kopfschmerzen oder allgemeines Unwohlsein.
Na, und so sitze ich jetzt im Zimmer, habe noch eine Weile mit meinem Süßen telefoniert, der heute auf dem Begräbnis unserer Chefin war, und tippe diesen Eintrag.
Und den werde ich nun abschließen, noch Schrubbidenti (Ein Wortspiel, das noch von meiner innigst geliebten Oma, die ich immer noch wie wahnsinnig vermisse, stammt.) veranstalten und dann ins Bett fallen, vielleicht mit etwas Musik im Ohr.

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Tag 14

Aflenz, 21.11.2007

Tag 14 – von wegen „Kochen“! + Extra: ein Exkurs über das Abnehmen

Ich glaube, ich habe ganz gut geschlafen, so wie ich in letzter Zeit das eigentlich immer tue. Ich habe mich an das harte Bett gewöhnt. Und an die Einsamkeit *seufz*.
Trotzdem kam ich morgens nur schwer aus dem Bett, es war ein einziger Kampf. Ich schaffte es aber, kurz nach sieben beim Frühstück zu sein. Es gab, boah, ich weiß nicht mehr, was, aber sicherlich ein Weckerl und einen Aufstrich beziehungsweise Topfen. Nein, jetzt weiß ich wieder, Wurst! Zwei Scheiben Vollkornbrot und drei Blatt Wurst, die gleich einmal gegen einen pflanzlichen Aufstrich getauscht habe. Mittags und abends wird extra vegetarisch für mich gekocht, aber mit dem Frühstück hapert es immer wieder einmal, aber das ist kein großes Problem, ich brauche nur in der Küche Bescheid zu geben und bekomme gleich etwas anderes, entweder Käse oder pflanzlichte Aufstriche (die sehr, sehr lecker sind!).
Der Pharmareferent (Ich muss mich für den einen kürzeren Spitznamen ausdenken oder ihn fragen, wie er eigentlich heißt) saß noch nicht neben mir, umgezogen ins Zimmer neben mir ist er schon, aber den Sitzplatz wechselt er erst morgen, weil die Kurverlängerung erst morgen beginnt. Oder so irgendwie.
Na, dass er umgezogen ist, war jedenfalls nicht zu überhören, denn nun ist es mit der seligen Ruhe vorbei, er macht teilweise ganz schön Krach in seinem Zimmer. Zum Glück habe ich meinen MP3-Player mit Kopfhörern mit, sonst wäre es Fin mit den Entspannungsphasen.
Am Vormittag hatte ich nichts vor, außer zu meinem neuerdings geliebten ;-)Doktor zu gehen, damit mir etwas wegen meinem Herpes gibt.
Nein, ich muss anders anfangen, denn es war eine kleine Odyssee, bis ich der Creme kam!
Zuerst ging ich in die Ambulanz, dort war der Zivildiener allein. Da ich nicht weiß, was der Kleine für Befugnisse hat, habe ich ihn nach einer Fieberblasensalbe gefragt. Er meinte, es gäbe sicher eine, aber er könne nichts machen, die DGKS ist gerade nicht da, ich solle doch ein wenig warten. Also gut, ich nahm vor der Ambulanz Platz und blätterte drei Diabetikerzeitschriften durch. Derweil ging es in der Ambulanz munter zu, ein ständiges Kommen und Gehen. Irgendwann habe ich realisiert, dass der Zivi wohl nicht ausgerichtet hat, dass ich auf eine Schwester warte. Gerade, als ich wieder in die Ambulanz gehen wollte, kam eine sehr, sehr liebe Schwester heraus und fragte mich, worauf ich warte. Also fragte ich sie nach einer Fieberblasensalbe. Aber nein, sowas darf sie nicht herausgeben, ich muss zu meinem Arzt, damit er es mir verschreibt.
Also gut, ich habe also vor der Ordination meines Doktors gewartet. Nur leider hatte der heute eine Menge Aufnahmeuntersuchungen. Nach zwanzig Minuten Warterei und noch immer zwei andere Leute vor mir war es mir zu dumm und ich bin gegangen. Ich habe mich daran erinnert, dass er sowieso einmal gemeint hatte, am besten wäre es, ich käme so um elf, also wollte ich es später noch einmal probieren.
Ich hatte ja sowieso ein Rendesvouz, das ich nicht zu lange warten lassen wollte.
Susi und ich hatten uns nämlich nach dem Frühstück verabredet und gemeinsam spazieren zu gehen. Zuerst lud sie mich zur ihr ins Zimmer auf einen Kaffee ein. Und ich war fasziniert, was sie alles mithatte: Einen Wasserkocher, aber nicht einen kleinen für die Reise, sondern ein riesiges Gerät. Und diverse Tees und Instantkaffees. Nächstes Mal, falls es ein solches geben sollte, komme ich auch mit dem Auto, da kann ich viel mehr mitnehmen, auch Malunterlagen und einen Wasserkocher und und und...
So saßen wir eine Weile beisammen, tranken Kaffee und sprachen im wahrsten Sinn des Wortes über Gott und die Welt.
Bevor dann losgingen, musste ich noch in mein Zimmer, um eine andere Hose anzuziehen, da fiel ich einem der Stubenmädchen in die Arme. Die redete und redete und ließ mich nicht mehr aus. Ich sagte dreimal, dass ich los müsse, aber die redete immer noch. Ich habe nichts gegen ein Pläuschchen, und die Damen hier sind ja alle sehr, sehr nett, aber ich hasse es, wenn jemand nicht aufhört zu quatschen, wenn ich eh schon deutlich mache, dass ich los muss.
Irgendwann konnte ich mich dann doch losreißen und es konnte los gehen. Ich führte Susi eine kürzere Version meiner letztens ausprobierten Wanderstrecke entlang, den „Schönen Waldweg“ und das Stück mit dem vielen Schneebruch über den Weg ließen wir aus. Leider war ein Grossteil des Schnees weggeschmolzen und wir hatten auf dem Weg massig Matsch und Eis. Aber vom Ausblick war Susi genauso beeindruckt wie ich das letzte Mal. Ich genoss den Spaziergang sehr, es tut gut, mit Susi zu reden, weil man zwar mit ihr lachen und ziemlich „böse“ sein kann, mit ihr ebenso gut ernsthaft über quasi alles reden kann. Und so wie ich sie erlebe, ist sie ein Mensch, der erstens keine Vorurteile hat, und zweitens jedem eine eigene Meinung zu allen Themen der Welt zugesteht. Sie akzeptiert meinen Glauben, heißt ihn weder gut und schlecht, und kann ganz normal darüber reden. Bewundernswert.
Wieder zurück im Zimmer zog ich mich schnell um und machte mich wieder auf zu meinem Arzt. Diesmal war er nicht in seiner Ordination und die Schwester in der Ambulanz musste ihn erst anrufen, damit er kommt, aber dann war er gleich da und ich kam gleich an die Reihe. Ohne Probleme verschrieb er mir eine virentötende Salbe. Und verbot mir für zwei Tage das Schwimmengehen. Und wenn ich ganz ehrlich bin, bin ich gar nicht mal so böse darüber, so habe ich eine gute Ausrede, einmal weniger zu tun.
Als ich aus der Ordination kam, war es schon bald Zeit für die Medikamentenausgabe, die hier einmal täglich um halb zwölf stattfindet. Nur leider war die Verordnung noch nicht im PC in der Ausgabe, weshalb ich wieder eine Zeit lang warten musste. Aber dann bekam ich endlich meine Salbe, damit ich dem Riesending auf meiner Oberlippe den Garaus machen kann!
Zurück ins Zimmer zu gehen zahlte sich nun  nicht mehr aus, weshalb ich mich gleich in Richtung Speisesaal aufmachte. Unterwegs traf ich noch Susi und unser Gespräch ging fröhlich weiter.
Zum Mittagessen gab es Champignonschnitzel mit Reis und Salat vom Buffet. Diesmal gab es unter anderem Selleriesalat, den ich auch sehr gerne habe, aber man hat auch bald genug davon, sodass ich mich eher an den grünen hielt. Der hat ja auch bei weitem weniger Kalorien...
Ich bekam Reis mit einer wirklich deliziösen Champignonrahmsauce. Das schmeckte so extrem gut, dass es ganz gut war, dass hier die Portionen genau abgemessen werden, denn hätte ich freie Hand gehabt, hätte ich mich damit krumm und dämlich gefressen! Als Dessert gab es Pfirsich-Apfel-Kompott.
Nach dem Essen begann ich am Weihnachtsgeschenk für meine Schwiegermutter zu sticken. Ich besticke ein Handtuch mit Blumenranken. Welches Muster ich für das Handtusch meines Schwiegervaters nehmen soll, weiß ich noch nicht. Wegen seiner Segelleidenschaft vielleicht irgendetwas Maritimes...
Um dreiviertel zwei stand „Ernährungsempfehlung“ am Programm, direkt danach „Kochen für Übergewichtige“. Ich war ja schon gespannt darauf. Ursprünglich dachte ich, dass wir Patienten selber etwas kochen durften, aber Hermi hatte mich schon aufgeklärt, dass die Diätologin vorkocht und die Patienten kosten dürfen. Schade eigentlich, es wäre sicher für die meisten ein Erlebnis, wenn sie selbst etwas Gesundes zubereiten dürften.
 In meiner Pflegeausbildung hatte wir auch Kochunterricht, damit wir für alte Leute schnell einmal etwas Gesundes und doch Hausmannskost kochen können. Dort hatten wir in einer Küche sechs Kochplätze je mit Herd, Abwasch und Arbeitsplatten. Und an jedem Kochplatz haben wir zu zweit oder dritt gearbeitet, jede Gruppe hat etwas anderes gemacht. Eine die Vorspeisen, die andere die Hauptspeise, eine Beilagen, eine weitere eine vegetarische Variante der Hauptspeise, die nächste das Dessert und so in der Art. Und dann haben wir alle gemeinsam gegessen, jeder konnte von allem probieren. Das würde hier sicherlich auch Spaß und Sinn machen. Aber leider wird eben im Gesundheitswesen an allen Ecken und Enden eingespart, und das macht auch vor einer Kuranstalt nicht halt. So wurde hier jetzt auch aus Einsparungsmaßnahmen die Morgengymnastik gestrichen. Worüber sich einige ziemlich aufregen, aber was soll man machen? Unser Gesundheitssystem ist genauso für den „Hugo“ wie unser österreichisches Sozialsystem, da muss man direkt froh sein, wenn es überhaupt noch (leistbare) Kuren gibt!
Aber zurück zur Kochschulung hier. Die Ernährungsempfehlung sah so aus, dass wir gemeinsam mit der Diätologin analysiert haben, wie viel Kalorien eigentlich in Getränken stecken und wie man da einsparen kann. Eines habe ich aus dieser Übung sicherlich gelernt: Ich schaue jetzt immer noch genauer, was in Lebensmitteln, die man so kauft, drinsteckt. Ein Joghurtdrink, auf dessen Flasche ganz groß prangte: „0% Fett und ohne Kristallzucker!!!“ entpuppte sich als wahrer Bomber mit mehr Kalorien als gewöhnlicher Eistee! Da gab es so einige Aha-Erlebnisse.
Wir durften auch allerhand Fragen über Ernährung stellen, wobei sich Lilly Piratenbraut besonders hervorgetan hat. Sie stellte eine Frage, die Diätologin fing mit der Antwort an, doch bevor sie geendet hatte, stellte Lilly schon die nächste Frage. Sie wartete also gar nicht auf eine Beantwortung, sondern wollte nur wichtig erscheinen oder was weiß ich. Nachdem sie fünfmal dieses Spielchen getrieben hatte, meinte sie lapidar: „Ich bin gleich still und die anderen dürfen auch noch etwas fragen.“ Wie großzügig!
Nach dieser Übung ging es in die Küche. Eine wunderschön eingerichtete Küche, sehr hell, freundlich und ziemlich funktionell. Einige Speisen waren schon vorbereitet, die durften wir kosten, während die Diätologin ein Reisgericht schaukochte. Dabei stand ihr eine Assistentin zur Seite, die die ganzen Nebenarbeiten machte, wie die Zutaten vorzubereiten, das Geschirr abzuwaschen und die Speisen anzurichten und auszuteilen. Wir bekamen von folgenden Dingen je eine Miniportion zu kosten: Zucchinicremesuppe, griechischer Salat, Reis-Faschiertes-Pfanne (bei der ich passte), Topfennockerl mit Erdbeermus und Pudding-Joghurtcreme. Das war alles wirklich sehr gut, und, wie eine Patientin so treffend bemerkte, schmeckte es gar nicht nach Diät. Das soll es ja auch nicht, weil man sonst ja recht bald aufhört mit dem gesunden Essen. Ich war selbst verwundert darüber, wie viel man eigentlich mit Saucen und auch Käse kochen kann, so dass man von den Portionen auch satt wird, und dennoch seine 1000 Kcal täglich nicht übersteigt. Man denkt, man kocht gesund und vollwertig und ohnehin mit viel Gemüse und wenig Fett, aber wenn man sich dann ein wenig genauer anschaut, wie man wirklich gesund kocht, dann wird einem erst bewusst, wie ungesund man davor gelebt hat. Ich bin zwar Vegetarier und koche irrsinnig viel mit Gemüse, aber eben auch mit Ölen und fettem Käse und Saucen. Im Volksmund heißt es immer, man soll zu einer Jause wenig Brot und viel Auflage essen, eil das Brot die vielen Kalorien hat. In Wahrheit ist es genau umgekehrt, das Brot hat relativ wenig Kalorien, und die in Form von sattmachenden Kohlehydraten. Während Butter, Wurst, Käse und Aufstriche die vielen Kalorien haben, aber in Form von Fett, das nach mehr Fett verlangt und schlecht für den Körper ist und gar nicht satt macht. Man braucht nur zu überlegen, wie viel Käse man essen könnte, bis man satt ist, und nach wie wenig Brot man den gleichen Effekt erreicht hat. Außerdem ist man zu einer Jause vielleicht Sauerkonserven wie Essiggurken, Perlzwiebeln und Pfefferoni, die durch das Einlegen irrsinnig viel Zucker und Öl beinhalten.  Man sollte frische Tomaten, Gurken, Paprika dazuessen, dann hat man Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe und noch dazu kaum Kalorien. Den Grossteil wusste ich ja wohl, aber es macht einen riesigen Unterschied, ob man etwas theoretisch weiß, oder ob man es auch praktisch umsetzt.
Was mir noch relativ neu war: Kartoffeln, Reis und Nudeln, auch Mehl haben relativ wenig Kalorien, davon kann man quasi Berge essen. Und sie haben kein Fett, nur Kohlehydrate. Die dickmachenden Dinge sind die, die dann noch dazukommen – fette Saucen, fetter Käse zum Überbacken, Schnitzel, angebraten in Öl und mit einer fetten Sauce und so weiter, eine endlose Liste.
Aber das soll hier keine Abhandlung über gesunde Ernährung werden (nur vielleicht ein Denkanstoß für jene, die das hier lesen), also zurück zum Tagesbericht.
Nur kurz eine Sache noch, für alle, die sich vielleicht mit dem Abnehmen plagen: Mir hat es sehr geholfen, als ich mir BEWUSST gemacht habe, was das Essen eigentlich ist. Und was es für Folgen hat. So isst man doch aus Geselligkeit, aus Lust, aus Langeweile, weil andere essen, als Frustkiller und aus tausend anderen Gründen. Aber essen dient eigentlich nur dazu, dem Körper benötigte Energie zuzuführen. Alles andere ist GENUSS. Und man muss sich fragen, ob es das wirklich wert ist, fünf Minuten Genuss zu haben und dann jahrelang zu leiden. Und wie wichtig ist mir Genuss, ist das nicht eigentlich total dekadent? Will ich denn dekadent sein? Während andere aus Hunger sterben? Will ich mich vorsätzlich krank machen, nur um mich ein paar Minuten einer Lust hinzugeben? Den Geschmack, also nichts Greifbares, erlebe ich ein paar Minuten, aber die Folgen – durchaus greifbar! -verspüre ich quasi ewig, will ich das?
Ich habe eine Essstörung, ich bin durch Anerziehen von Kindesbeinen an und durch Perfektionierung im Erwachsenenalter  esssüchtig geworden. So wie für andere Nikotin oder Alkohol ist für mich das Verlangen nach Essbarem körperlich spürbar. Jemand, der das nicht mitgemacht hat, versteht das wahrscheinlich nicht. Ich kann nur betonen: Es ist absolut eine Sucht, und somit eine Krankheit, der man nur in den seltensten Fällen Herr wird. Mein Problem war nicht, dass ich ungesund gekocht habe. Ich habe zuviel gekocht und gegessen, Und maßlos in mich hineingestopft, wenn ich traurig war. Oder einsam. Oder fröhlich. Oder im Stress. Oder frustriert. Oder bei der Arbeit. Oder zuhause. Oder allein. Oder in Gesellschaft. Oder voll Appetit. Oder satt. Oder wenn ich ein schlechtes Gewissen gegenüber meinem Mann wegen meinem Aussehen hatte. Oder...
Ziemlich krank also bereits.
Ich hatte das große Glück, den wunderbaren Segen, meinen Glauben und somit Unterstützung beim Höchsten zu haben. Und einen wundervollen Partner, der wirklich absolut immer zu mir steht, mich schützt, mir hilft.
So wage ich zu behaupten, dass ich meine Sucht ziemlich in den Griff bekommen habe. Geholfen hat mir auch sehr christliche Literatur von Ellen White, die in mir die oben erwähnten Gedanken und Fragen aufgeworfen hat. Wenn die Esslust wieder mit mir durchzugehen droht, dann frage ich mich: Wie christlich ist das jetzt? Gott sieht mir zu, was sagt er wohl dazu, dass ich meinen Körper über meinen Kopf regieren lasse, dass ich reiner Begierde nachgebe? (Das ist doch eigentlich so, als hätte ich gerade Lust auf Sex und schlafe deshalb zur körperlichen Befreidigung mit irgendwem, der gerade greifbar ist, ohne an die Folgen zu denken.) Mein Körper, meine Gesundheit sind Gottes Geschenke an mich, wie gehe ich damit um?
Mit diesen Gedanken überwinde ich den „inneren Schweinehund“. Es passiert immer noch, dass ich mein Gehirn zu spät einschalte und diese Gedanken erst kommen, wenn die Großpackung Schokoladepudding bereits schwer im Magen liegt. Aber ich arbeite an mir und ich lerne. Zur Zeit kann ich von mir behaupten, ziemlich clean zu sein. Ziemlich, denn auch wenn sich die meisten das nicht vorstellen können, ist es wie bei einem Drogenabhängigen, einem Alkoholiker: Man ist zwar clean, aber niemals geheilt. Jederzeit kann die Sucht wieder durchbrechen, das Gehirn schaltet um auf Selbstbelügen und Ausredenerfinden, und dann geht es wieder los. Passiert das hin und wieder, ganz selten, so wie bei mir letzte Woche mit der Schokolade, dann kann man noch damit umgehen, dann haut man einmal daneben und kriegt sich dann wieder ein. Aber passiert es öfter, dann wird es immer häufiger passieren, irgendwann täglich und man ist im alten Verhaltenmuster. Also niemals geheilt, bloß clean.
Das klingt jetzt, als würde ich nach Mitleid haschen, aber das tue ich nicht. Ich will nicht bemitleidet werden, höchstens unterstützt, wenn ich wieder einmal einen der mehrmals täglich innerlich stattfinden Kämpfe gefochten und gewonnen habe. Wie gesagt, mehrmals täglich. Dauernd. Bloß clean, niemals geheilt. Oder vielleicht irgendwann einmal, ich gebe ja die Hoffnung nicht auf. Und ich brauche kein Mitleid, denn sollte ich es jetzt tatsächlich schaffen zu überwinden, dann stärkt das erstens unglaublich den Charakter, zweitens kann mir das einmal dienen, wenn ich jobmäßig umsatteln will (Ich würde irrsinnig gerne als Lebensstilberater arbeiten, aber mit meiner Figur kauft mir das Programm ja niemand ab!) und drittens kann ich anderen Suchtbetroffenen ein Segen sein, denn wenn ich sie berate, ihnen zur Seite stehe, dann weiß ich im Gegensatz zu vielen anderen, was sie durchmachen und kann da passend ansetzen.
Meinen Kuraufenthalt hier sehe ich unter anderem auch als Training. Für Geist und Körper. Ich bekomme hier meine Mahlzeiten und nicht mehr, mein Körper gewöhnt sich daran, dass es zwischendrin einfach nichts mehr gibt. Und dass er mit den etwa 1000 kcal umgehen muss, ob er will oder nicht. Und den Geist bezwingen zu lernen geht hier leichter, denn wenn mich der Heißhunger überfällt, dann müsste ich erst in den Ort in ein Geschäft gehen, mich mit schlechtem Gewissen an der Rezeption vorbeischleichen. Meistens siegt die Faulheit,  zuhause hätte ich alles griffbereit, hier habe ich nichts, es fällt mir das Üben hier also leichter. Und man kann sich quasi alles anerziehen, alles zur Gewohnheit machen, auch das Nichtzugreifen bei Gelüsten.
So, nun ist es aber wirklich genug mit meinem Exkurs, wieder zurück zum Tag 14!
Wir hatten also eine Ernährungsberatung und ein Schaukochen mit Verkostung. Danach hatte ich nichts mehr, also frei.
Schwimmen durfte ich nicht gehen, also blieb ich  im Zimmer, stopfte mir Musik ins Ohr und widmete mich der Stickerei. Ich bemerkte, das meine Schwiegermutter angerufen hatte, während ich in der Schulungsküche war. Ich dachte mir, wenn sie etwas von mir wollte, würde sie schon noch einmal anrufen. Von meinem Schatz erfuhr ich, dass sie und meine Schwägerin mich möglicherweise am Sonntag besuchen möchten. Besuch im Knast! Da freut man sich sogar über die Verwandtschaft.

Zum Abendessen gab es Topfenstrudel mit Vanillesauce und eine gar nicht kleine Portion. Das Problem für mich bei Süßspeisen ist, dass sie mich nicht „erfüllen“. Wenn ich Gemüse habe und was zu beißen, zum Beispiel Reis oder Kartoffellaibchen, dann fühle ich mich recht bald satt und habe nach dem Essen auch das Gefühl, etwas gegessen zu haben. Süßspeisen mag ich als Dessert. Die rutschen so hinunter, ohne viel Gefühl im Mund (außer dem Geschmack), danach habe ich immer noch das Gefühl, ich müsste etwas essen. Es verlangt mich nach mehr. Deswegen mache ich zu Hause nicht oft Süßspeisen als Hauptgericht, und wenn doch – Kaiserschmarren ist halt doch etwas sehr Gutes – dann mit einer Gemüsesuppe (bei der man auch beißen muss) oder Salat als Vorspeise.
Na egal, der Strudel und die Sauce waren auf jeden Fall sehr gut, aber eben nicht erfüllend...
Danach pilgerten wie jeden Abend alle Patienten zur Rezeption, um ihre Therapiepläne für den nächsten Tag zu holen. Hermi, Susi und ich blieben in der Vorhalle in einem gemütlichen Eck sitzen und tratschten noch eine ganze Weile miteinander. Hermi belastet die Situation mit ihrer Familie wahnsinnig. Die Geschichten, die sie von ihrem Sohn, aber auch über ihre Eltern erzählt, sind Horrorvisionen! Wenn sie nicht bald etwas unternimmt, wird Hermi recht bald still und leise zugrunde gehen. Ein Magengeschwür wäre noch die harmloseste Variante. Sie sagt, sie weiß das selbst auch, aber sie kann nicht dagegen tun. Susi und ich bearbeiten sie ganz sachte, vielleicht ändert sich ja doch etwas. Eigentlich ist Hermi für mich eine wildfremde Frau, und ihre Probleme gehen mich nichts an, sie hat mich auch nicht um Hilfe gebeten, aber wenn ein Mensch so verzweifelt ist, dann kann man doch nicht einfach nur daneben sitzen und den Unbeteiligten mimen, oder?
Um etwa halb neun kam ich zurück ins Zimmer, wo ich noch eine gute Stunde mit meinem Schatz telefonierte, und jetzt werde ich noch ein bisschen sticken, denn ich bin so gar nicht müde. Doch, müde schon, aber nicht zum Einschlafen, irgendetwas hat mich aufgeregt...

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Tag 15

Aflenz, 22.1.2007

Tag 15 – Peter und Judith

Da ich wusste, dass ich gleich um 7.30 Uhr morgens eine Massage bei einem eher schweigsamen Therapeuten (sehr angenehm!) bekomme, stand ich relativ leicht auf. Ich hatte nur etwas Probleme mit dem Kreislauf und musste ein paar Gymnastikübungen machen und mich strecken, bevor ich mich aus dem Bett aufzustehen getraute. Zum Frühstück gab es einen Kornspitz und Aufstrich. Die pflanzlichen Aufstriche, die man hier bekommt, sind wirklich extra lecker!
Und dann ging es zur Massage, das war herrlich! Heute war der Masseur gar nicht so schweigsam, weil ich  ihn nach dem richtigen Saunieren gefragt habe. Er hat mir sehr ausführlich erklärt, wie man es richtig macht, und ich kam zu dem Schluss, dass ich das letzte Mal übertrieben hatte und es noch einmal versuchen werde.
Nach der Therapie ging ich wie in Trance in mein Zimmer und entspannte mich dort weiter.
Da das Wetter recht grausig aussah, verbrachte ich den Vormittag mit meiner Stickerei und mit meinem Laptop. Und mit einer Dame vom Raumpflegepersonal, die sich ihren ganzen Kummer mit der pflegebedürftigen Schwester von der Seele geredet hat. Leider merkte sie nicht, als ich mich immer wieder dem Laptop zuwandte und so das Gespräch beenden wollte, aber irgendwann bemerkte auch sie, dass sie weitergehen sollte. Ich glaube, oder hatte zumindest den Eindruck, es tat ihr irgendwie gut, dass sie mit jemanden reden konnte, der nicht nur sagt „Jaja, wird schon wieder werden.“ Sie selbst sah die Situation ja auch sehr realistisch, wollte gar keine Beschönigungen, sondern einfach darüber reden.
 So verging auch die Zeit bis zum Mittagessen. Es gab Kartoffelauflauf, soooo gut! Und ein ganz und gar nicht kleine Portion davon, da ja Kartoffeln doch nicht so viel Kalorien haben wie viele annehmen. Es war auch Gemüse dabei, das hat ja auch kaum Kalorien, der Dickmacher dabei waren wahrscheinlich nur die bindende Sauce und der Käse zum Überbacken. Und dazu Salat vom Buffet!
Nun war auch der Pharmazeut, der sich als Peter vorstellte, bei uns am Tisch. Und wir haben ihn gleich vor den an unserem Tisch herrschenden rauen Sitten gewarnt. Aber er passte sich ganz gut an, es schien ihm auch nichts auszumachen, dass Heinz nun einmal unser Hahn im Korb ist, der mit Salat umsorgt wird (Susi und ich holen Heinz immer Salat von der Salatbar, weil er sich ja so schwer tut mit dem Gehen.) und er sich alles selber holen muss. Er ist ein ganz angenehmer Gesprächspartner.
Und hatte gleich die Topidee, um der Schnepfe einen Streich zu spielen: Wir sollten eine extragroße und fette Pizza auf ihren Namen bestellen! Die Idee ist grandios, nur leider gibt es hier keinen Pizzalieferservice.
Leider habe ich keine Ahnung mehr, was wir als Dessert hatten.
Leider hat sich Hermi bei mir ziemlich böse in die Nesseln gesetzt. Sie hat schon einmal eine blöde Bemerkung über Übergewichtige gemacht. Und dann hat sie mir erzählt, dass beim Wassertreten ein dicker Mann mit gespreizten Beinen in ihrem Blickfeld gesessen ist. Er hatte eine Badehose an, aber der Anblick war so furchtbar, dass sie Angst hatte, Albträume zu bekommen. Und diesmal beim Essen kam irgendwie das Gespräch auf medizinisch gesehen schwere Fälle. Hermi meinte, an unserem Tisch säßen die schweren Fälle ja auf einer Seite, und deutete auf Peter und mich. Ich fand das fies und meinte: „Wer sagt das?“ Sie kapierte gar nicht, wie beleidigend sie wurde und redete weiter von „Ihr seid ja die Schwergewichte“ und „Susi und ich sind ja rank und schlank, aber ihr...“ Peter sagte gar nichts mehr, ich war innerlich auf den Barrikaden, denn das ist ein sehr empfindliches Thema. Ich mache ja auch keine Witze über ihren Diabetes oder ihre psychischen Probleme. Mein Übergewicht ist genauso ein Krankheit, die hier behandelt wird. Bevor ich noch etwas erwidern konnte, meinte Susi zu Hermi, sie solle jetzt besser nichts mehr sagen. Hinterher stellte sich heraus, dass das Zufall war, es war gar nicht Susis Absicht Hermi zu bremsen, aber es hat genau gepasst, denn Hermi war dann endlich still.
Dieses Frauenzimmer geht mir schon so auf den Keks! Ein paar Tage lang konnte ich sie mit der Unterstützung von Susi ertragen, aber nun kann ich nicht mehr. Wann immer wir uns sehen, jammert sie nur über ihre Familie. Wie arm sie doch ist, wie gemein alle zu ihr sind, was sie mitmachen muss, wie ihre Eltern die ganze Verantwortung für ihr Leben ihr überlassen, wie der Sohn sie ausnutzt, wie ihre Schwester ihr gar nicht hilft und so weiter und so fort. Einmal ausweinen ist okay, aber immer und immer wieder dasselbe, das ist nicht zumutbar. Sie lässt sich ja eh nichts sagen, und sie ist an ihrer Situation absolut selbst schuld, was kann ich also dafür? Und helfen kann ich ihr auch nicht, also warum muss ich mir das anhören? Leider bin ich zu feig ihr zu sagen, dass sie doch endlich einmal die Klappe halten soll. Aber die paar Tage, de ich noch hier bin, werde ich es hoffentlich noch durchhalten.
Nach dem Essen musste ich die Riesenportion erst einmal absitzen lassen, bevor ich mich entschloss, mich doch in das schlechte Wetter hinauszuwagen und wenigstens eine halbe Stunde lang frische Luft in die Lungen zu pumpen. Was ich veranstalte war quasi „Powerwalking“, ich ging die gleiche Runde, die ich letztes Mal auch mit Susi gemacht habe, in ein bisschen mehr als die Hälfte der Zeit. Aber mit kleinen Pausen zum Aussichtgenießen.
Als ich zurückkam musste ich mich mit dem Umziehen sputen, damit ich rechtzeitig zur Unterwassergymnastik kam. Susi hatte verschlafen und kam zu spät, weswegen wir später anfingen, dann auch später aufhörten und etwas zu spät zu den Entspannungsübungen kamen. Aber die Psychologin, die die Übungen leitet, wartet wohl immer ein bisschen, weil sie weiß, dass es sich mit den Therapien nicht immer so ganz genau ausgeht.
Als einige von uns nach der Gymnastik aus dem Becken eilten, stand Lilly Piratenbraut neben dem Treppenaufgang und meinte lautstark: „Nicht alle weglaufen! Bewegung machen, los los los, schön dableiben.“ Ich habe ehrlich überlegt, ob ich ihr nicht im Vorbeigehen einen Tritt gegen das Schienbein verpassen sollte. Ich bin normalerweise ein friedliebender Mensch, der sich um andere bemüht, aber immer wieder begegnen mir Leute, bei denen muss ich mich abplagen, um überhaupt freundlich zu sein. Und wenn jemand denkt, er sei was Besseres und andere dementsprechend behandelt, der hat bei mir kein leichtes Leben, da kommt der Gerechtigkeitsfanatiker durch. Ich weiß, dass das keine gute Charaktereigenschaft ist, aber ich arbeite bereits an mir und halte mich einigermaßen in Zaum. Sonst hätte ich eh zugetreten.
Beim Entspannen war auch Hermi dabei. Wir machten eine Körperreise mit ein bisschen autogenem Training. Diesmal bin ich nicht eingeschlafen, aber es hat mich doch sehr beruhigt. Als wir nämlich in den Turnsaal kamen, war ich total überdreht, alberte mit Susi und Sieglinde (Ich weiß nicht, ob ich sie schon erwähnt habe. Ist meistens gemeinsam mit Judith anzutreffen, eine sehr sehr liebe Frau, mit der wir in der Kreativtherapie immer viel Spaß haben.) herum, aber nach der Stunde war ich ganz unten, brauchte eine Weile, um mich wieder zu fangen. Also, wenn ich wieder einmal aus irgendeinem Grund, Schlafmangel oder sonst was, so überdreht bin, dass ich mich selbst nicht leiden kann, dann weiß ich nun, dass autogenes Training Abhilfe schafft.
Ich wagte mich wieder in die Sauna, gleich nach dem Entspannen. Diesmal waren wir mehr Damen, die ältere St. Veiterin, die gleiche Frau wie letztes Mal mit einer Bekannten und später kam noch eine junge Frau dazu, die ganz offensichtlich mit einem anderen Kurgast hier ein Gspusi hat. Die zwei sind normalerweise nur im Doppelpack anzutreffen. Sie versuchen zwar, sich ganz unauffällig zu geben, einer von ihnen geht am Gang immer vorne, der andere einen Meter weiter hinten, aber das machen sie so auffällig, dass sich schon alle zerkugeln.
Ich glaube, diesmal habe ich das Saunieren richtig gemacht, ich war in der Hitze, solange es sich angenehm anfühlte, habe mich dann mit der Schwallbrause (einem Gartenschlauch) abgeduscht, bin im Kaltwasserbecken eine Weile untergetaucht, war dann 10 Minuten im Ruheraum und begann den Kreislauf von vorne. Dreimal insgesamt. Und das letzte mal bin aus der Sauna heraus und gleich in den Schnee. Leider war es nicht genug Schnee, dass ich mich hätte hineinlegen können, aber ich bin barfuss darin herumgestiegen und habe mich damit abgerieben. Miene Haut war danach knallrot und das Wasser im Becken kam mir gar nicht mehr kalt vor.
Zurück im Zimmer legte ich mich auf mein Bett und ließ das Saunieren etwas nachwirken, dann war es schon wieder Zeit zum Essen. Am Plan stand saure Wurst, ich bekam Käseaufschnitt. Bei manchen habe ich am Teller gesehen, dass sie Käsesalat bekamen, so etwas hätte mich auch einmal interessiert, das muss ich zuhause ausprobieren. Denn Wurstsalat mit Sojawurst ist eine teure Angelegenheit, aber mit Käse wird das sicherlich toll! Und ist bei weitem nicht so teuer.
Nach dem Essen pilgerten wieder alle zur Rezeption, um ihre Therapiepläne für den nächsten Tag zu holen. Susi war schon abgehaut, sie machte einen Kurs im Patchworknähen, also ging ich mit Hermi. Und die Raunzerei und Klagerei ging weiter, furchtbar!
Als wir zu einer Tür kamen, kam mir gerade die Schnepfe entgegen. Ich war einen Moment vor ihr bei der Tür, aber sie wollte sich schnell durchschummeln, damit ich für sie stehen bleiben muss. Da hatte sich die Vettel, für die ich keinerlei Respekt empfinde, aber getäuscht. Ich machte mich ganz breit und ging so breit durch die Tür. Sie blieb nicht stehen, aber sie machte sich ganz dünn und musste mir ausweichen. Keine sehr christliche Aktion, aber manchmal kann ich nicht anders.
Gemeinsam gingen Hermi und ich zur Kreativgruppe, Susi war ja diesmal nicht dabei. Aber Sieglinde kam dazu, leider ohne Judith, der es nicht gut ging und auf der Krankenstation war.
Neu waren diesmal zwei sehr voluminöse Herren, die beide einen geschorenen Kopf haben, beide immer ähnlich gekleidet sind und Zimmer nebeneinander haben. Mit denen hatten wir auch jede Menge Spaß. Nur Hermi raunte in meine Richtung eine dumme Bemerkung über Dicke. *grrr*
Und sie tat etwas, für das ich schon als Jugendliche meine Mutter am liebsten gewürgt hätte, sie verglich meine Statur mit der von anderen. Sie meinte, gegen Peter sähe ich ja noch schlank aus. Und erwartete wohl, dass ich diese Aussage als Kompliment werte. Irgendwann....
Außerdem malte sie zwar den Aschenbecher, den sie letztes Mal modelliert hatte, an, aber so total lieblos, fast aggressiv, und redete dabei nur über den Kummer mit ihrem Sohn und ihren Eltern. Irgendwann habe ich auf Durchzug geschalten und mich mit Sieglinde unterhalten. Ich modellierte meine restlichen Krippenfiguren, die mich noch ein wenig ärgerten, bewunderte wieder einmal die Geduld und die Liebe, mit denen der Leiter der Kreativtherapie ans Werk ging, und machte bald Schluss, um mit Sieglinde Judith auf der Krankenstation zu besuchen.
Der ging es nach einer Panikattacke nun schon wieder viel besser, sie konnte schon wieder lachen. Und durch die beiden erfuhr ich nun, wie dieser Geschichte mit der Schnepfe und der „Nüchtern“-Tafel wirklich war:
Am Tisch von Judith und Sieglinde sitzt ein Mann, den ich jetzt einfach nur einmal den Arsch nenne. Der Arsch hält sich hier überhaupt nicht an das Programm, meckert nur herum, geht nach jeder Mahlzeit ins Wirtshaus essen, schmuggelt Speck und Würste und Brot und alles Mögliche in sein Zimmer, kommt immer zu spät zu den Mahlzeiten und lässt sich dann sein Essen wärmen, das er ja eh nicht isst und schimpft über alles und jeden. Außerdem weiß er alles, kann alles und ist sowieso der Schönst und Beste. Seine Werte sind ja auch total super, außerdem macht er am Raucherentwöhnungsprogramm mit, will aber gar nicht aufhören (Kettenraucher), sondern fälscht das Protokoll, verarscht den Psychologen. Und so weiter und so fort. Da fragt man sich natürlich, warum er überhaupt hier ist, aber auch darauf hat er eine Antwort (wie auf alles): Er will nicht mehr arbeiten. Er hat die Pension mit Ende des Jahres bewilligt bekommen und will bis dahin nicht mehr arbeiten. Und irgendwie muss er seinen Krankenstand ja begründen, also ist er auf Kur gefahren. Toll. Und andere, die es wirklich brauchen, warten auf Plätze.
Na gut, der Arsch hätte an jenem Tag einen Labortermin gehabt und sollte nüchtern bleiben, deswegen hatte er beim Frühstück das Schild an seinem Platz im Speisesaal. Ihm fiel aber gar nicht ein, sich daran zu halten, also stellte er das Schild zur Schnepfe hin und frühstückte sein mitgebrachtes Zeug. Tja, und so nahm das Unheil seinen Lauf. Er sah nämlich seelenruhig zu, wie die Schnepfe sich aufregte und damit drohte, sich beschweren zu gehen wegen der „Unfähigkeit des Personals“. Er verließ den Speisesaal, ohne die Sache aufzuklären, was aber Judith und Sieglinde ziemlich stark fanden und in der Küche Bescheid gaben. Die informierten auch den Primar. Keine Ahnung, warum das Stubenmädchen meinte, dass das Personal eine auf den Deckel bekommen hat, das stimmt nämlich nicht. Eher hat der Arsch eine auf den Deckel bekommen, denn der kann plötzlich pünktlich zu den Mahlzeiten erscheinen und sogar grüßen.
Aber zurück auf die Krankenstation.
 Mit Herumalbern und wichtigem Gerede meinerseits (ähem) brachten wir die Zeit rum, bis eine Ärztin kam, Judith noch einmal untersuchte und dann in ihr Zimmer entließ.
Im Zimmer telefonierte ich mit meinem Schatz. Der Süße ist leider krank. Und ich kann nicht bei ihm sein und ihn pflegen, das macht mich fertig. Denn es geht ihm ziemlich schlecht, und ich weiß genau, dass er sich nicht schonen wird. Na, mal sehen, wie das weitergeht.

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Tag 16

Aflenz, 23.11.2007

Tag 16 – Gelächter und Triumphgeheul

Ich schlief letzte Nacht sehr schlecht. Abends konnte ich ewig nicht einschlafen, in der Nacht wurde ich immer wieder munter, und morgens kam ich fast nicht auf. Ich musste wieder ein paar Dehnungsübungen machen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Beinahe blind stolperte ich ins Bad, wo ich versuchte mit Hilfe von kaltem Wasser meine Augen zum Öffnen zu bewegen. Irgendwann konnte ich dann doch in den Spiegel blicken – und nur resigniert den Kopf schütteln.
Nach schneller Morgenpflege ging es in den Speisesaal, wo schon ein delikates Müsli auf mich wartete. Man hat hier nämlich die Möglichkeit zu wählen, ob man das Frühstück mit Brot und Weckerl mag oder lieber Müsli. Man kann auch nur jeden zweiten Tag Müsli haben, das ist wirklich toll. Das Müsli hier wird mit viel Getreide und wenig Nüssen gemacht, ebenso mit frischem Obst anstatt der Trockenfrüchte in Fertigmischungen, weshalb es relativ wenig Kalorien hat. Und schmecken tut es auch noch sehr gut.
Gleich nach dem Frühstück hatte ich wieder eine Massage, diesmal beim Grabscher. Wobei- so wirklich grabschen tut es ja nicht, er greift mich nirgends ungebührlich an. Aber er greift einen gerne an. So hat er zum Abschied gemeint, ich solle „das Buckerl“ warm halten und mir seine Hand auf den Rücken gelegt. Sowas fällt einem einfach auf, aber es ist nicht direkt unangenehm. Manche Frauen scheinen auch darauf zu stehen, die schwärmen direkt von ihm. Ich weniger.
Nach der Massage wusch ich eine Partie Wäsche und entspannte mich, ließ die Behandlung nachwirken.
Da kurz die Sonne zwischen den Wolken hervorblitzte, zog ich mich an und ging für eine halbe Stunde spazieren. Länger hielt ich es nicht aus, weil erstens die Einlage in meinem rechten Schuh ein Falte warf und das höllisch drückte, und zweitens wurde mir ziemlich bald an den Ohren und den Oberschenkeln kalt. Und ich kann es nicht brauchen, krank zu werden. Also ging ich recht bald wieder zurück ins Heim, vorher rief mich aber noch mein Schwiegermutter an, um mich zu fragen, ob sie mich dieses Wochenende besuchen darf. Sie, also die Schwiemu mit meiner Schwägerin und meinen zwei Nichten, kommen wahrscheinlich morgen.
Zurück im Zimmer hatte ich einen kleinen Plausch mit einer Raumpflegerin, diesmal einer anderen, dann rasierte ich mir die obligatorischen Körperstellen und duschte schön heiß. Nachher cremte ich mich so richtig dick von oben bis unten ein und ließ am Bett liegend alles in die Haut einziehen. Als Unterhaltung hatte ich eine Tageszeitung ergattert, die ich nun studierte.
Irgendwann war es dann noch Zeit für ein Mittagessen und ich machte mich, nachdem ich noch eine Partie Wäsche in die Waschmaschine geworfen hatte, auf den Weg in den Speisesaal. Es gab Paprikahendl mit Vollkornnudeln. Ich bekam Strankerl(=Fisolen)gulasch samt Tofustücken mit Vollkornnudeln. Und Salat nach Wahl, in meinem Fall Schwarzwurz. Als Dessert gab es Apfelmus, aber da ich das nicht so gern habe und das Gulasch einfach so gut war, aß ich erst das Mus und dann das Gulasch, damit ich den Geschmack davon recht lange im Mund hatte.
Wie meistens kam beim Essen das Gespräch auf die Piratenbraut und die Schnepfe. Ich meinte zu Peter, dass er sich wohl daran gewöhnen müsse, dass wir Weiber da ziemlich schlimm sein können. Aber wie sich herausstellte, waren meine Warnungen umsonst, er ist nämlich noch viel schlimmer als wir! Er erzählte, dass die Schnepfe beim Wassertreten oft hinter ihm ist. Und dann meinte er, das nächste Mal wird er sich mitten im Gehen zu ihr umdrehen und sagen: „Haben Sie das jetzt gespürt? ´Tschuldigung, ich konnte es nicht mehr halten!“
Da möchte ich aber mit einer Kamera dabeistehen!
Nach dem Essen dachte ich ein wenig über die Weltwirtschaftslage nach (Susis Bezeichnung für ein Schläfchen). Aber wirklich schlafen konnte ich nicht, ich döste immer nur so dahin. Trotzdem kam ich fast nicht auf, als der Wecker klingelte. Ich brauchte 10 Minuten, bis ich senkrecht war.
Ich kam aber dennoch rechtzeitig zur Unterwassergymnastik, bei der immer mehr Leute mitmachen, das Becken war fast überfüllt. Aber wenigstens waren weder die Piratenbraut noch der Ehrgeizling Yul Brunner dabei. (Letzterer dürfte bereits abgereist sein, ich habe ihn schon länger nicht mehr gesehen.)
Nach der Gymnastik blieb ich noch eine Weile im Wasser, aber so richtig Spaß machte es mir nicht. In meinen Gedärmen krachte und rumorte es, dass man Angst bekommen konnte. Noch im Zimmer hatte ich Durchfall gehabt, nun hatte ich das Gefühl, dass ich bald explodiere. Ich weiß nicht, ob die Strankerl oder das Joghurt im Müsli schuld waren. Ich sollte mich wirklich einmal auf Laktoseunverträglichkeit testen lassen. Ich habe immer öfter das Gefühl, dass ich auf Milch reagiere. Auf Käse nicht, aber auf rohe Milch und hin und wieder auch Joghurt. Ich konsumiere ja doch sehr, sehr wenig rohe Milch, ich kann mir schon vorstellen dass der Körper dieses extrem schwer verdauliche Zeug dann nicht mehr gewohnt ist und damit nicht mehr so richtig fertig wird.
Jedenfalls verließ ich nach einer weiteren halben Stunde das Wasser und wusch mir beim Duschen gleich die Haare. Ich wusste ja nicht, wann meine Verwandtschaften nun kommen würde, also versuchte ich mich zu beeilen.
Zurück im Zimmer packte ich gleich meinen Laptop aus und begann, den Eintrag von gestern zu schreiben. Irgendwie werde ich abends immer fauler, ich wollte gestern einfach nicht mehr tippen. Und heute Vormittag auch nicht, ich nutzte die Zeit lieber für ein wenig Bibelstudium.
Die ganze Zeit über wartete ich auf einen Anruf von meiner Schwiemu, aber der kam nicht. Und so verging die Zeit bis zum Abendessen.
 So langsam bekomme ich den Eindruck, ich schreibe nur mehr vom Essen!
Es gab Dorschfilet mit Kartoffeln und einer Dillsauce. Ich bekam Kartoffelpuffer mit Dillsauce und Broccoli.
Als die Serviererinnen ungefähr beim letzten Viertel angelangt waren, also bei uns und dem Tisch der Schnepfe, gingen in der Küche die Kartoffeln aus. Man hatte sie schon zugestellt, nur brauchten sie diesmal länger, bis sie durch waren. Die Servicedamen baten um Verzeihung und meinten, es gäbe gleich Nachschub, aber die Schnepfe regte sich furchtbar auf! „Die anderen sind schonfertig und ich habe noch nicht einmal etwas bekommen! Was sind das für Zustände, da werde ich mich beschweren! Eine Frechheit ist das, wo kommen wir da hin! Das kann man mit mir nicht machen!“ Und so weiter...
Nach einigen Minuten gab es wieder Kartoffeln, und nun folgte eine Aktion, von der die Serviererin von unserer Tischgemeinschaft einen Orden bekommt: Susi hatte nur Kartoffeln allein haben wollen, weil sie weder Fisch noch Dillsauce mag. Nun nahm die Servicedame vier Fischportionen und Susis Kartoffeln. (An unserem Tisch fehlte nur noch Susis Essen.) Die vier Fischportionen verteilte sie an die Leute am Tisch von der Schnepfe, die Schnepfe bekam nichts, sie kam zurück an unseren Tisch und gab Susi eben ihre Kartoffeln. Die Schnepfe schnappte vor Entrüstung nach Luft. „Was soll das? Jetzt nimmt sie es wieder mit! Wieso bekomme ich nichts! Warum bekommt die Frau da vor mir?!?“
Und an unserem Tisch brachen alle einstimmig in Triumphgeheul aus! Naja, alle bis auf Heinz, der bekommt unsere kleinen Fiesheiten oft nicht mit. Aber als er dann mitbekam, um was es ging, lachte er auch laut auf.
Wie meistens saßen wir noch am Tisch, als der Großteil der Patienten schon den Speisesaal verlassen hatte. Als wir gingen, meinte Peter im Aufstehen zu der entsprechenden Serviererin: „Kann man die Alte nicht für zwei Junge eintauschen.“ Ich muss sagen, die Servicedame ist ein Profi, sie verzog keine Miene. Aber ihre Augen grinsten. Susi und ich meinten zu ihr dann noch, dass die Aktion absolut genial war und sie dafür einen Pokal verdient hat. Da lächelte sie dann in sich hinein, aber sich wohl dessen bewusst, dass sie nichts Schlechtes gegen einen Patienten sagen darf. Ich bewundere wirklich die Geduld und Professionalität des Personals hier. Naja, sagen wir vom Großteil, ein, zwei Ausnahmen gibt es....
Aber dennoch, die Damen im Speisesaal sind nach wie vor gleich freundlich zum Arsch, obwohl der sie wirklich mies behandelt. Sie schauen die Schnepfe nicht einmal böse an, wenn die wieder eine ihrer Tiraden loslässt. Die müssen hier sicherlich so einiges ertragen, und keiner lässt an Freundlichkeit missen. Ich frage mich sowieso, was sich immer wieder Leute beschweren. Man lebt hier wie in einem Hotel, kann quasi alles haben, aber es ist nun einmal ein Krankenhaus. In welchem Krankenhaus hat man ein solches Service?
Raunzer muss es anscheinend immer und überall geben...wenn der Österreicher nicht raunzt, dann ist er nicht glücklich. Sehr zum Leidwesen von Dienstleistungspersonal, und da spreche ich aus Erfahrung.

Nach diesem „Erfolg“ ging es wieder auf zur Pilgerreise an die Rezeption.
Auf dem Rückweg ins Zimmer sah ich im Gemeinschaftsraum Judith mit Sieglinde und in paar anderen sitzen. Ich wollte Judith eigentlich nur fragen, wie es ihr denn ginge, aber ich wurde gleich in die Runde miteinbezogen. Die St. Veiterin, echt eine flotte Biene, wie Peter zu sagen pflegt, sorgte mit Anekdoten aus ihrer FKK-Laufbahn für Gelächter. Es war eine fidele Runde, jeder gab einmal etwas zum Besten, unser Gelächter hörte man wahrscheinlich im ganzen Haus. Und ich habe erfahren, welche Spitznamen unsere Piratenbraut von anderen Patienten noch bekommen hat. „Megabarbie“ und „Tangalady“ finde ich am besten. Den zweiten hat sie, weil sie trotz ihrer Statur gerne sehr knappe Kleidung trägt und wenn sie sich nach vorne beugt oder am Hometrainer sitzt, dann ist der Stringtanga für jeden sichtbar. Angeblich war sie einmal total sportlich, ist sogar einen Marathon gelaufen. Tja, als sie dann dicker wurde, hätte sie sich eben eine neue Garderobe zulegen sollen, etwas, das passt und nicht rundherum kneift und mehr zeigt als verhüllt. Es sieht wirklich so aus, als würde sie sich mit nun etwa 50 Kilos mehr auf den Hüften in ihre Sachen aus besseren Zeiten quetschen. Und dazu die Schminke und die Frisuren! Ich war früher auch sportlich, spielte im Schulvolleyballteam, machte Karate, Bodenturnen, Basketball, Tanzen regelmäßig, trotzdem kleide ich mich heute meinem Volumen entsprechend. Auch wenn ich den alten Zeiten nachtrauere. (Absolut nur, was Sportlichkeit und Figur betreffen, ansonsten existiert für mich keine „gute alte Zeit“.)
Um etwa acht brachen alle auf, die meisten wollten sich eine Show im TV ansehen. Ich telefonierte noch mit meinem Schatz, der nun wirklich sehr krank ist, der Arme. Und nun sitze ich hier und tippe. Es ist schon nach zehn Uhr, es ist ein Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht, wenn man am Tippen ist!
Na, dann werde ich meine Denti schrubben und versuchen etwas zu schlafen.

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